Alles Ist Ewig
halten uns für absolut vorbildlich. Wir haben keine Ahnung, was wir tun würden, sollten sich die Götter eines Tages gegen uns wenden. Aber diejenigen von uns, die schon die schlimmsten Seiten ihrer selbst zu sehen bekommen haben – sagen wir einfach, wir erkennen ein solches Potenzial auch in anderen. Und Sie, meine Liebe, bersten nahezu davor.«
Virginia kippte den Rest ihres Drinks hinunter und stellte dann mit boshaftem Grinsen ihr Glas klirrend auf dem Kaminsims ab. Ein Windzug wehte durch den Kamin herein und brachte das Feuer zum Qualmen, sodass die Hausherrin plötzlich in dichten Rauch gehüllt war. Diese Frau ist gemeingefährlich, dachte Haven.
»Ich werde niemals so werden wie Sie.«
»Tja, Sie werden die Gelegenheit bekommen, mich davon zu überzeugen.« Virginia Morrow sprach nun immer undeutlicher. »Sieht ja ganz so aus, als hätten Sie sich bereits dran gewöhnt, mein Geld auszugeben. Allein das Kleid da muss ja ein Vermögen gekostet haben.«
»Das Kleid habe ich selbst gemacht«, zischte Haven.
Virginia griff sich ein Stück von Havens Ärmel und rieb das Gewebe zwischen den Fingern. »Naja, aber der Stoff war ja wohl kaum umsonst. Sie scheinen einen erlesenen Geschmack zu haben. Wollen wir doch mal sehen, was passiert, wenn das ganze Geld auf einmal futsch ist. Haben Sie Lust darauf, einfach wieder zu derselben Hinterwäldlerin zu werden, die Sie vorher waren? Was, glauben Sie, würden Sie tun, um das zu verhindern? In wessen Arme werden sie flüchten, wenn Iain Ihnen das alles nicht mehr bieten kann?«
»Dazu hat er sie angestiftet, stimmt’s?«
»Er?«, fragte Virginia Morrow. »Und wer sollte das sein?«
»Adam. Adam Rosier.«
»Keine Ahnung, wer das sein soll. Wie kommen Sie darauf, dass ich mich von einem Mann zu irgendetwas anstiften lasse? Meine Motive sind doch wohl offensichtlich. Ich will mein Leben zurück. Ich will in einem Haus ohne Mäuse wohnen. Ich will wieder schöne Kleider tragen. Ich will, dass die Leute höflich zu mir sind, ob es ihnen passt oder nicht. Ich will alles, was ich verloren habe, und bald werde ich es mir einfach zurückkaufen können. Mein Anwalt ist überzeugt, dass wir gewinnen können, und er weiß, dass ihm ein schöner, dicker Scheck winkt, wenn uns das gelingt.«
»Glauben Sie bloß nicht, dass ich mich einfach kampflos geschlagen gebe«, entgegnete Haven.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück«, sagte Virginia. »Was meinen Sie, wer von uns beiden hat wohl am meisten zu verlieren?«
KAPITEL 7
Z urück im Hotelzimmer in Florenz, war alles still. Draußen wurde die Welt langsam dunkler. Das letzte Nachmittagslicht sickerte durch die dünnen Gardinen und färbte die Wände blasssilbern. Haven dachte an das kleine Haus in New York, in dem sie ihre erste Nacht mit Iain verbracht hatte. Oben in ihrem Schlafzimmer, unter dem Dachfenster, wenn die Wolken am Himmel vorüberzogen, war das Licht genauso gewesen. Manchmal war es schwer vorstellbar, dass es ihr Haus nicht mehr gab, dass es von einem Feuer zerstört worden war, in dem sie beide um ein Haar ums Leben gekommen wären. Haven blieb stehen, um ihre Umgebung in sich aufzunehmen und das Gefühl in ihrem Gedächtnis zu speichern. Sie wusste, es gab keine Garantie dafür, dass ihr diese Welt erhalten bleiben würde. Sie begann bereits auseinanderzubrechen.
Iain lag angezogen auf dem Bett, den Zeigefinger zwischen den Seiten eines Buchs. Er war eingeschlafen, während er auf ihre Rückkehr gewartet hatte. Sie beugte sich über ihn, und ihr Blick blieb an der winzigen Narbe auf seiner Stirn hängen. Er war nicht unversehrt aus dem Feuer entkommen. Haven ertappte sich oft dabei, wie sie mit dem Finger darüberstreichen wollte. Sie wusste, die Narbe war eine Warnung. Sie sollte sie daran erinnern, dass Iain sterblich war. Egal, wie mutig oder unverwüstlich er wirkte, er war nicht unbesiegbar.
Ein Bild schoss ihr durch den Kopf – Iains schöne Mutter inmitten der Ruinen ihres Lebens, das sie durch ihre Alkoholsucht zerstört hatte. Die Wut, die auf diese Erinnerung folgte, ließ Havens Körper steif werden, und sie biss die Zähne zusammen. Auf der Fahrt zurück nach Florenz hatte sie bei der Vorstellung, dass Iain von diesem Ungeheuer großgezogen worden war, so heftig zu weinen angefangen, dass sie am Straßenrand hatte halten müssen. Sie verstand besser als jeder andere, wie einsam er als kleiner Junge gewesen sein musste. Haven war selbst mit acht Jahren zu einer Art Waisenkind
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