Alles Ist Ewig
auf eine der Bänke. In jedem lag ein einfacher weißer Bademantel.
»Bitte legen Sie alle Ihre persönlichen Dinge in die Körbe«, wies die Frau sie an. »Ich nehme sie dann an mich, wenn Sie sich umgezogen haben. In die Therme gelangen Sie durch die Tür zu Ihrer Rechten.« Nach dieser kurzen Einführung ließ die Rezeptionistin Haven und Frances allein, damit sie sich umziehen konnten.
In ihrem knappen Bademantel, der erheblich weniger bedeckte, als sie erwartet hatte, öffnete Haven die Tür zu den Bädern und wurde sofort von einer Wolke aus heißem Dampf eingehüllt. Frances und sie gingen durch einen langen Flur, bis sie ein Becken erreichten, das von hohen Marmorsäulen und hölzernen Liegestühlen gesäumt war. Von dem grünlich trüben Wasser stieg Dampf auf, und die Luft roch irgendwie schwefelartig. Das Licht war so schummrig, dass sie fast nichts erkennen konnten. Geisterhafte Schemen schwebten durch den Nebel. Eine glänzende nackte Gestalt stieg aus dem Becken empor und legte sich auf einem der Liegestühle auf den Bauch.
»Es heißt, das Wasser hier kommt aus einem unterirdischen Fluss«, flüsterte Frances.
»Muss ein ziemlich dreckiger Fluss sein«, bemerkte Haven. »Sieht eher aus, als käme es direkt aus einem Abwasserkanal.«
»Das grüne Zeug im Wasser soll gesund sein. Aber dass man sich hier unten so wohlig und entspannt fühlt, liegt an dem, was sie hier in die Luft pumpen.«
»Sie pumpen etwas in die Luft?«, fragte Haven.
»Atme mal ganz tief ein«, sagte Frances. »Was du da riechst, ist nicht nur Wasserdampf. Ich weiß zwar nicht, was es ist, aber ich habe schon von Leuten gehört, die hier unten Halluzinationen bekommen haben. Ein Mädchen, mit dem ich auf der Highschool war, hat mal eine zehnminütige Unterhaltung mit einem der Wandleuchter geführt. Sie dachte, das wäre Gott.«
»Wie lange gibt es diese Therme schon?«, wollte Haven wissen. Sie wirkte alt genug, um von den Römern selbst erbaut worden zu sein.
»Ich hab keinen blassen Schimmer«, gab Frances zu. »Aber schon meine Großmutter hat davon erzählt. Sie meinte immer, es gäbe nichts Besseres gegen ihr Rheuma. Außerdem hat sie erzählt, dass man früher den reichen New Yorker Mädchen die Adresse zu ihrem achtzehnten Geburtstag verraten hat. Denkst du, Constance war vielleicht auch mal zu einem kleinen Schwitz hier?«
»Zu einem was?«, fragte Haven.
Frances schüttelte tadelnd den Kopf. »Du solltest wirklich mehr Zeit in New York verbringen. In Italien bekommst du einfach nicht genug Kultur vermittelt. So, wo ist denn nun diese Frau, nach der du suchst?«
Haven begann das Becken zu umrunden. Wo immer sie hinsah, tummelten sich Grüppchen von Frauen in weißen Bademänteln. »Ihr Name ist Phoebe. Sie muss ziemlich alt sein. Ich weiß nicht genau, wie sie aussieht, aber ich glaube nicht, dass sie allein ist.«
»Ist sie das da vielleicht?«, fragte Frances und deutete auf eine groß gewachsene, dürre Gestalt, die in einer dunklen Ecke des Raums kerzengerade auf einem der Liegestühle saß. Um ihren Kopf hatte sie ein Handtuch geschlungen und alles, was Haven von der Frau erkennen konnte, war, dass sich ihre Lippen bewegten. Zwei weitere Frauen beugten sich zu ihr hinüber, als versuchten sie, jedes Wort in sich aufzunehmen, das sie sagte.
»Könnte sein«, sagte Haven. »Ich gehe mal hin. Und du entspann dich ruhig ein bisschen. Geh schwimmen oder so. Ich finde dich schon, wenn ich fertig bin.«
»Ich weiß nicht.« Frances zögerte. »Ich hab Iain versprochen, dich nicht aus den Augen zu lassen.«
»Das ist doch nur eine alte Frau«, erwiderte Haven belustigt. »Was soll die mir schon tun?«
Sie wartete Frances’ Antwort nicht ab, sondern ließ sie einfach am Schwimmbecken stehen. Dann suchte sie sich einen Liegestuhl in der Nähe der Pythia und legte sich hin, die Augen geschlossen, die Ohren gespitzt.
»Du warst eine Königin, und dein eigener Ehemann hat dich ermordet«, hörte Haven die alte Frau sagen. Ihre Stimme war tief und schmeichelnd und klang irgendwie vertraut. »Er hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um dich zur Frau zu bekommen, doch als du ihm dann eine Tochter schenktest statt eines Sohns, hat er sich gegen dich gewendet. Vielleicht hat er dich nicht mit eigenen Händen getötet, aber das hätte er genauso gut tun können. Er warf dir Hexerei, Untreue und Inzest vor, und er sorgte dafür, dass die erfundenen Verbrechen dich den Kopf kosteten«
»Das klingt aber nicht gerade
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