Alles Ist Ewig
sie den warmen, trockenen Raum betraten. In der Luft lag bereits der Duft von Phoebes seltsamen Kräutern. Haven ließ sich an der Feuerstelle auf den Boden sinken, und Phoebe nahm neben ihr Platz. Was für eine Zeitverschwendung, dachte Haven. Solange sie so aufgeregt war, würde sie mit Sicherheit keine Vision bekommen. Warum war sie nur zu spät zu diesem Treffen gekommen? Wie hatte sie ihre Chance verpassen können, Iain noch einmal zu sehen? Und warum war Phoebe so stur?
»Schließ die Augen«, sagte Phoebe, während sie noch mehr Zweige auf die Kohlen häufte. »Versuch dich an die Gerüche zu erinnern, die du bei deiner letzten Reise durch die Zeit gerochen hast.«
Haven erinnerte sich an den Geruch von Erde auf Pieros Grab, an ihr feuchtes Kleid. Dann, plötzlich, nahm sie noch einen weiteren Geruch wahr. Er war zart und blumig, ein Parfüm, das Beatrice gern getragen hatte. Es war noch immer da, irgendwo unter dem Gestank des vierzehnten Jahrhunderts.
»Lass dich von den Gerüchen in die Vergangenheit tragen …«
Zwei Diener betraten den Raum. Jeder von ihnen trug eine große Truhe. Einige der Mädchen keuchten auf. Beatrice genoss es zu beobachten, wie ihre Freundinnen ihren Neid niederzukämpfen versuchten.
»Die sind von Adam. Öffnet sie«, befahl sie den Dienern. Sie hatte lange geübt, ihre Stimme so gelangweilt und eingebildet klingen zu lassen, innerlich aber platzte sie beinahe vor Aufregung. Geschenke waren das Einzige, was sie für kurze Zeit aus dem Reich der Toten befreien konnte und ihr das Gefühl gab, lebendig zu sein. Doch die Zufriedenheit hielt nie lange an.
Die Schlösser der Truhen wurden geöffnet und die Deckel aufgeklappt. Die erste war mit Seide gefüllt, schöner, als es die Vorstellungskraft zuließ. Die zweite enthielt Leinen, Spitze und Pelze. Obenauf lag ein juwelenverziertes Kästchen. Sechs junge Frauen drängten sich um den Schatz. Eine streckte die Finger nach der Schachtel aus, aber Beatrice war schneller. Sie schlug die Hand des Mädchens beiseite und schnappte ihr die Schachtel vor der Nase weg. Darin lagen drei goldene Halsketten.
»Leg mir die hier um«, forderte sie eine ihrer Freundinnen auf und strich sich das lange blonde Haar aus dem Nacken. Die anderen Mädchen trugen ihr Haar hochgesteckt, gedreht und gezwirbelt wie Seile. Nur Beatrice weigerte sich, dieser Mode zu folgen. Haar wie ihres war dazu da, bewundert zu werden, und sie konnte nun ohnehin tun und lassen, was sie wollte. Beatrice stellte sich vor den Spiegel. Selbst in ihrem einfachen Kleid sah sie atemberaubend aus. Irgendwie hatte ihr Kummer sie noch schöner werden lassen.
»So etwas willst du wirklich tragen?«, flüsterte ihr eine ihrer Freundinnen zu. »Du bist nur die Tochter eines Kaufmanns. Der Adel wird nicht begeistert sein.«
»Und bald werde ich die Ehefrau des Mannes sein, bei dem sie alle hoch verschuldet sind. Ich kann also machen, was ich will.«
»Weißt du denn schon, wann ihr heiraten werdet?«, fragte das Mädchen.
»Wenn die Zeit gekommen ist«, erwiderte Beatrice.
Die Hochzeit war der Preis, den sie für all die Geschenke würde bezahlen müssen, aber wann sie diese Schuld begleichen würde, konnte sie selbst entscheiden. Wenn es nach ihren Eltern gegangen wäre, hätte die Hochzeit so schnell wie möglich stattgefunden, aber die hatten nun keine Macht mehr über sie. Schließlich hatte ihr Verlobter ihr die Entscheidung überlassen. Nur ihr Bruder Piero hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er warf ihr Leichtsinnigkeit vor und war sicher, dass diese Verbindung nichts Gutes bedeutete.
»Das Schicksal ist wirklich gnädig zu dir«, sagte eine andere Freundin.
»Ja. Endlich«, entgegnete Beatrice.
Haven erwachte auf dem Fußboden. Sie spürte, wie die Strohmatte ihr ein Muster in die Wange drückte.
»Erzähl mir, was passiert ist«, forderte Phoebe.
»Langsam wird es mir wirklich zu bunt!« Mühevoll setzte Haven sich auf. Sie stand noch immer unter Schock – die schreckliche Vision hatte sie aufgewühlt. Der Duft von Beatrices Parfüm lag noch immer in der Luft und Haven wurde beinahe übel davon. »Sie sollen mir Naddo zeigen!«
»Erzähl es mir«, wiederholte Phoebe.
»Nein. Was ich gesehen habe, geht Sie nichts an.« Haven wollte nicht zugeben, dass sie einmal dieses eitle, gierige Geschöpf mit dem lieblichen Gesicht und dem wunderschönen blonden
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