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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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sein, und er sagte, er wollte, dass es für mich so wunderschön wäre, einfach weil er es wollte, nicht weil er das Gefühl hätte, er müsste. Dann flog er wieder nach Boston und sagte, warte bis Thanksgiving auf mich, don’t sit under the apple tree, ich komm’ zu dir zurück, also wartete ich, ich lehnte sogar unschuldige Einladungen zum Essen und Football-Tickets von Typen in meinen Kursen ab. Und dann fühlten sich Thanksgiving und Weihnachten genauso schlimm an wie die schlimme Zeit im Sommer in Back Bay. Meine Gefühle waren einfach nicht mehr dieselben. Es lag nicht nur an ihm. Es dauerte, aber nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, da fehlte was, und ich bin vielleicht egoistisch, aber ich kann auch nur eine Zeit lang mehr geben, als ich bekomme, und dann ändert sich etwas.«

    ›Bruce, das wäre jetzt vielleicht der geeignete Zeitpunkt, näher darauf einzugehen, dass du Ende des letzten Herbsts bei vier verschiedenen Gelegenheiten mit einer Kommilitonin aus Great Neck, New York, geschlafen hast, die am Simmons College im dritten Semester war. Vielleicht möchtest du auch deine Befindlichkeiten auf einer gewissen Halloween-Party artikulieren.‹
    »Der letzte Sommer war nicht schön, und als ich ihm das Weihnachten gesagt habe, wurde er sauer und sagte, ich solle ihm so was nicht vorhalten, außer ich wollte damit etwas Bestimmtes sagen. Da hatte ich mich schon mit dem Typ aus der Statistik angefreundet, aber ich hätte mir nicht mal im Traum gewünscht, mit ihm zusammen zu sein, wenn die Dinge mit Bruce besser gelaufen wären.«
    »Ich schlafe und esse und sitze viel herum, und das Rote im Auge klingt langsam ab. Ich wasche die Insektenreste von der Windschutzscheibe meiner Mutter. Eine Zeit lang verschreibe ich mich voll und ganz dem Leben und den Anliegen zweier Erwachsener, denen ich echte und intensiver werdende Zuneigung entgegenbringe. Mein Onkel ist Versicherungssachverständiger, allerdings tritt er Ende des Jahres wegen seiner Lungenprobleme in den vorgezogenen Ruhestand: Die Familie hat Angst, sein Wagen könne auf einer der zahllosen Straßen in Aroostook County liegen bleiben, auf denen er täglich kreuz und quer unterwegs ist, um Schadensfälle zu begutachten. Die Winter hier sind der Hammer. Ich habe das Gefühl, wenn mein Onkel in Rente geht, sitzt er nur noch vor dem Fernseher, zieht meine Tante auf und erzählt Schoten von seinen Schadensfällen. Die Geschichten sind manchmal unglaublich. Sie fangen alle mit ›Ich hatte mal einen Schadensfall …‹ an. Er erzählt sie mir im Wohnzimmer bei den paar Bier, die er am Tag trinken darf. Er sagt, er sei schon immer ein häuslicher Mensch gewesen, ein Familienmensch, er wargern bei seiner Familie – die Kinder sind jetzt erwachsen und in den Süden nach Portland, Augusta und Bath gezogen –, und in seiner Geschäftsstelle gab es jede Menge Rindviecher, die die ganze Zeit nur an ihre Karriere dachten oder ihre Jagden oder ihr Golfspiel oder ihre Pimmel, und was blieb ihnen dann, wenn der Winter kam und die Welt einschneite? Meine Tante unterrichtet eine dritte Klasse in der Grundschule am anderen Ende der Stadt, hat den Sommer frei und sich deshalb in zwei Kursen an der Zweigstelle der University of Maine in der City von Prosopopeia eingeschrieben, Französisch und Soziologie. Nachdem ich mich ausgeruht habe, fahre ich ein paar Tage lang mit ihr zu der Uni-Außenstelle und setze mich in die Campus-Bibliothek, während sie in ihren Kursen ist. Die Bibliothek ist winzig und irgendwie süß, wie die Kinderabteilung einer Stadtbücherei, mit Teppichen, Möbeln und Wänden in gedämpften Herbstfarben. Im Sommer ist die Bibliothek fast leer bis auf zwei vollschlanke Frauen, die lauthals Bücher inventarisieren. Für ernsthafte Arbeit ist es gleichzeitig zu laut und zu still, und mir kommt kein einziger Gedanke, den ich nicht seicht und überdreht fände. Während ich dasitze und von den Gleichungen, die die letzten beiden Jahre meines Lebens bestimmt haben, zu extrapolieren versuche, habe ich das Gefühl, als hätte man mir eine Kugel in den Kopf geschossen. Am Ende schreibe ich wirre Bruchstücke, eigentlich Briefe, die weder Adresse noch Ziel haben. Was soll eigentlich bewiesen werden? Ich habe den Eindruck, als hätte ich alles widerlegt. Nach kurzer Zeit stelle ich die Besuche in der UMP – Bibliothek ein. Die Tage vergehen, und meine Tante und mein Onkel sind makellos lieb, aber Maine wird das nächste Hier statt eines

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