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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Wasseroberfläche wogt, ein ertrunkener Riese mit trägem Haar; und die Häuser: kaifarben, blassgrau und schmutzig weiß. Üppiger toter Salzgeruch. Langsam.
    Dagegen das Illinois der Gegenwart, wie das hier und jetzt aussieht: schwarzer Himmel; dann Lakritzhimmel; vielleicht ein Krähenkrächzen: Morgengrauen. In Illinois wird auf die Dämmerung sehr wenig Zeit verschwendet. Weil es immer so offen ist. J.   D. sieht aus dem Terminalfenster über das Rollfeld bei LordAlofts Landeplatz hinweg, das Unterwasserblau der kreisförmig angeordneten Landescheinwerfer unter dem jetzt lakritzfarbenen, mit Billionen verblassender Sterne gespickten Himmel, der Mais steht schwarz und schweiget, selbst im Wind, und nass vom ausgefällten Tau. Mit dem Gesicht nach Osten fällt das Schauen fast schwer: flach bis zur Erdkrümmung, der Osten: nirgends ein Hügel, keine westliche Skyline von Collisions Silos, Bögen und Neon; der Osten ist von hier aus ein einziger weiter Bogen – nichts, woran das Auge Halt fände, man muss den Blick hin- und herschweifen lassen wie ein großes Nein, die Augen so entspannt und objektlos, dass sie sich fast verdrehen. Es ist einem nicht ganz geheuer.
    Aber dieser Augenblick jetzt: Er nimmt die Zigarre ausdem Mund und drückt sie im feinen Sand eines Aschenbechers aus, vorläufig kein Für Wen, in diesem Augenblick. Dieser eine Moment, mehr nicht, jeder Aufgang im Osten: Alles hat ein gewisses Vordämmerfeuer. In der Ferne die Zubringerflugzeuge und Tanklastwagen, die Sterne flimmern, um weiter gesehen zu werden, der wogende Mais, der schiere Sauerstoff von Illinois scheint in diesem einen Augenblick zu schaudern wie kurz vor der Zündung. Nur einen Augenblick am Tag, hier, wo der flache Osten von dereguliertem Benzin durchnässt ist und irgendwie … wartet.
    Und dann ist der fragile Vorzündungsglanz fort. Ohne etwas Vertikales zwischen dir und dem Horizont ist die Sonne plötzlich aufgegangen. Keine rosigen Strahlenfinger, einfach auf einmal eine rote Handfläche; die Zündung am Vereinigungstag ist spasmisch kurz; als würde die Sonne einfach plötzlich in den verblassten Himmel geniest, und der Horizont im Osten erschauerte ob des eigenen Auswurfs. Ein Helikopter taucht auf, einer von Jack Lords Wasserkopfpiloten kommt aus dem Expresssonnenaufgang angeflogen.
    J.   D. sollte dem den breiten Rücken kehren. Sich ums Geschäft kümmern. Die Jugendlichen sitzen in der Kiste; hatten sie versprochen. Der LordAloft 5.10 vom O’Hare dreht bei wie eine große sanfte Hand, Schlieren aus Blasen und Rotorblättern, sein tornadischer Wind fegt Spreu und Grus umher und peitscht den Mais – grün jetzt, düster, Viehfutter –, der Tau glitzert, der Mais ein Meer, überprüf das, J.   D., ein Maisfeld, eine Hand streicht darüber und produziert eine Welle. Nicht träge und tot, sondern sanft und –
    – aber diese Landung und das ersterbende Triebwerk törnen ihn auch an, die veränderte Frequenz des Rotordrehmoments. J.   D. starrt verzückt. Wenn man in etwas sich Drehendes starrt und genau hinsieht, sieht man, wie innerhalb des Drehens etwas sprudelt, sich fängt und im Dreh rückwärtsdreht, in Gegenrichtung. Manchmal. Manchmal bis zu vier verschiedene Drehmomente, jeder entgegen der eigenen Außenseite. Etwas beim Drehen zuzusehen: Das ist ein Hobby, aber J.   D. weiß, dass es mit Begehren zu tun hat, die so verbrachte Zeit ist also keine vertane Zeit. Aber er genießt das. Alles mit einem zirkulären Drehmoment und klar markierten Achsen, das schneller oder langsamer wird: Speichenräder, Hubschrauberrotoren (der eigentliche Grund, warum er so viel Zeit in LordAloft gesteckt hat, mal abgesehen von seiner Bewunderung für Jack Lord und dem Ausmachen einer Marktlücke), Windmühlen, gebogene Ventilatorblätter. Alle Räder ohne Nabe oder Gleichförmigkeit. Das Beste war mal das rechte Vorderrad einer Kutsche mit livriertem Kutscher: ausgestreckte, ineinander verschwimmende Speichen, dann ein perfekter Rückwärtsdreh innerhalb des Drehens, als der Trab in Kanter überging und die Kutsche trappelnd und drehend in einer Londoner Straße verschwand. Im Fronturlaub. Im großen Krieg. Das war J.   D.s erster Dreh.
    Das ist übrigens alles nicht so wichtig. Aber es ist wahr, und J.   D. steht hier am verschmierten Panoramafenster vom C.   I. Airport und hilft DeHaven nicht beim Empfang der vorletzten Kinder, damit er nach den letzten Ehemaligen Ausschau halten kann: Eberhardt 70, Sternberg 70. Die

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