Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
College-Mädchen mit Wangenknochen und in Gymnastik-Shorts mit griechischen Buchstaben auf den Hintern. Menschenmengen, Leute umarmen sich. Aschenbecher unter RAUCHEN VERBOTEN – Schildern. Ein Rabbi hetzt einem verpassten Anschlussflug nach. Eine blasse Frau zerrt ein willenloses Kleinkind hinter sich her. Einem einsamen und desorientierten Asiaten tanzen schwarze Ponyfransen auf der Stirn wie ein wackeliger Zaun. Latinos in Schlaghosen sind in konspirativen Paaren unterwegs, der eine trägt einen Metallkoffer.
    »Kann ja nicht behaupten, dass mir der Koffer da gefällt«, sagt er zu Mark, der auf Zehenspitzen durch den Pendler-Flugsteig vom C.   I. Airport schleicht und darauf wartet, dass D.   L. ihr Aspirin nimmt und sich auf der Damentoilette das Post-Tranquilizer-Gesicht wäscht. Wenigstens hat sie geschlafen. Hat sie nur noch müder gemacht, sagt sie.
    Sie sind zu spät, und deswegen wartet kein Ronald oder dazugehöriges Personal auf sie, wie in der Broschüre verheißen. Sternberg hat jetzt offiziell Schlafmangel. Für ihn ist das auch kein Jux. Es beeinträchtigt sein Sehvermögen. Die Morgenfarben sind stechend hell wie überbelichtete Filme aus der Vor-Panavision-Epoche. Flattrige Halluzinationen tanzen am Rand seines Sichtfelds. Eine armlose Statue auf einem Skateboard. Ein Zypressensumpf, milchig trübes Wasser, das in Tümpeln blubbert und über freiliegende Wurzeln gluckert. Ein Regenbogen knallt wie eine Peitsche. Nur stellt sich heraus, dass das nicht mal echte Halluzinationen sind; es sind Poster: »Besuchen Sie diese Kunstgalerie«; »Erforschen Sie Louisiana«; »Kaufen Sie in diesem Laden einen Gartenstuhlund genießen Sie ein echtes Gewitter im Mittleren Westen«. Und so weiter. Nicht echt. Der Verschluss von Sternbergs umgedrehtem Auge kitzelt – Wimpern klimpern auf freiliegenden Nerven. Ein schriller Ton durchdringt seinen Schädel – ein Schlafentzugstestmuster, etwas Hartnäckiges und Schrilles in einer sehr kleinen Schachtel.
    »Ist das alles Mais?«, fragt Mark und zeigt aus dem Terminalfenster.
    »Scheißgrün, was?«
    »Nichts anderes da. Nichts anderes zu sehen. Ich hab noch nie so viel von irgendwas gesehen.«
    »Das ist Ackerland, Mann. Echte Farmer. D.   L. und ich waren als Kinder wegen dem Spot hier. Damals war alles weiß. Im Sommer danach hat Mom mich wieder zu ’nem Vorsprechen hergebracht. Kriegt von all dem Mais heute noch Albträume. Wacht sie manchmal von auf.«
    Mark Nechtr mustert alles, was er beobachtet, mit schlaffer Intensität. Sternberg hat nicht mal den Eindruck, dass er unter Schlafmangel leidet. Strahlend vollkommener Arsch. Aber ein gruseliges Starren. Schaut immer drein wie wer in der ersten Reihe von einem total fesselnden Konzert.
    Fasst die breitschultrige, gesichtslose Figur auf der Tür zur Herrentoilette ins Auge, Sternberg jetzt, und ringt mit sich. Er hat schon seit Stunden Stuhldrang, und seit der LordAloft 7.10 abgehoben hatte, war die Sache kritisch geworden. Noch in O’Hare hat er’s versucht. Aber er konnte nicht, weil er Angst hatte, dass Mark, der immer wirkt, als müsse er einfach nie, plötzlich auf die Toilette kommen, Sternbergs Schuhe unter einer Kabinentür sehen und wissen würde, dass er, Sternberg, in dieser Kabine Stuhlgang hatte, und daraus folgern würde, dass Sternberg Därme, ergo Organe und ergo einen Körper hatte. Wie viele Amerikaner seiner Generation in diesem prekärsten aller postimperialistischen Jahrzehnte, einem Zeitalter in der Schwebe zwischen Erschöpfung und Wiederauffüllung, zwischen Vorgaben, die für die Verarbeitung zu banal, und solchen, die für die Hinnahme zu intensiv sind, hadert Sternberg massiv mit seiner Körperlichkeit; stets schwingt die Angst mit, sofern er wirklich nur ein Organismus wäre, wäre er nicht mehr als ein Ismus seiner Organe.
    Thomas Sternberg ist also wie weiland die Historischen Idealisten – auf die er sich, wenn der Starkstromlogorrhoeiker, das ewige enfant terrible Dr. C — Ambrose das hier erfinden würde, ständig expressis verbis und intellektuell konstruktiv, wenn auch noch so irritierend beziehen könnte (und würde) –, Sternberg also ist außergewöhnlich fasziniert von der irreführenden Pose blutleerer Abstraktion. Ideen. Er ist ein Ideenmann. Das hat nichts mit seiner Intelligenz oder deren Mangel zu tun. Ideen, gute wie schlechte, Hauptsache blutleere, machen einfach seinen ganzen Charakter und seine Einstellung aus.
    Mark und er sehen sich im Pendler-Terminal

Weitere Kostenlose Bücher