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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Sternberg, weder J.   D. noch DeHaven – die gerade auf den Münzparkplatz einbiegen und sich über etwas an der Zündung von DeHavens Wagen streiten – bringen das geistige Rüstzeug mit, um auf sich bietende Gelegenheiten in dieser besonderen Weise zu reagieren. Mark hat inzwischen das Gefühl, er misstraut Wortspielen.
    Eigentlich stehen sie also einfach nur herum, wie man das halt so macht, das Gepäck ein wildes Durcheinander zu ihren Füßen, irgendwie stecken geblieben, müde, mit dieser So-kurz-davor-Spannung, dem Gefühl, dass sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein müssen, sich aber nicht recht einigen können, wie sie hinkommen sollen. Weil sie sich verspätet haben. Wie Dr. Ambrose zu bemerken geneigt sein könnte: Sie sind im übertragenen Sinn unsicher, wo es von hier aus langgeht.
WIE DIE STADT COLLISION IN CENTRAL ILLINOIS GEGRÜNDET WURDE
    Fakt ist: Alle Gemeinden in Illinois, vom stattlichen Chicago bis runter nach Little Egypt, haben ihren Ursprung und ihre Daseinsberechtigung in der Nahrungsmittelproduktion. Der Ackerboden von Illinois wird hinsichtlich des Humusanteils und der Fruchtbarkeit nur vom Nildelta übertroffen. Illinois war auch schon immer bekannt für seine unzähligen winzigen, beschissen instand gehaltenen und randstreifenlosen Landstraßen, gegen die und an denen entlang der Mais schnell, üppig und hoch wächst. Hoch und dicht wuchernd, verdeckt er den Fahrern an den Kreuzungen der kleinen Straßen die Sicht auf den Verkehr. Und die Gelder, die für Achtung-Schilder nötig wären, sind hier irgendwie nie angekommen.

    Und so kam es in der Frühzeit der Weltwirtschaftskrise, in deren Verlauf der Ackerboden von Central Illinois kein bisschen staubig wurde und der Mais so grün blieb wie eh und je, an einer unbeschilderten Kreuzung zu einem Zusammenstoß zwischen einer wohlhabenden Frau aus Chicago, die in einem großen Tourenwagen nach Süden unterwegs war, und einem Farmer, der mit seinem Kleintraktor von Osten nach Westen zu seinem zweiten Feld unterwegs war. Der Tourenwagen trug den Sieg davon. Der Farmer wurde Hals über Kopf in sein Feld geschleudert, wo er, im Mais verborgen, sein Leben aushauchte. Lautstark. Die Frau kam nicht zu ihm durch, weil ihr Auto ihn so weit ins Grün geschleudert hatte, und der Humusboden machte es den hochhackigen Schuhen der Frau einfach unmöglich. Die Frau, die eine Schnittwunde an der Stirn davongetragen und einen Menschen getötet hatte, indem sie ihn weiter schleuderte, als je ein Mensch fliegen sollte, war unglaublich und unvorstellbar traumatisiert. Aber sie war willensstark und gelobte, J.   D. zufolge an Ort und Stelle, nie mehr zu reisen. Nie wieder.
    Ihr Gelübde plus ihre Charakterstärke waren von einiger Tragweite. Ihr leicht eingebeulter Tourenwagen blieb einfach da, wo sie ihn abgewürgt hatte, und sie wohnte darin. Ganz schön großer Wagen. Farmer Krocs Familie auf der anderen Seite des Felds hatte zuerst einen ziemlichen Brass wegen des Unfalls mit anschließendem Tod und (spurlosem) Verschwinden des Körpers ihres Ernährers; aber wegen ihrer Schuldgefühle zahlte die Frau ihnen mehr, als der Farmer selbst ihnen in einem ganzen Leben eingebracht hätte; und nicht nur kam es nicht zum Prozess, sondern die Frau wurde in ihrem Heim im unbeweglichen Auto auch fast eine Angehörige der erweiterten Familie Kroc. Anfangs einfach nur aus minimaler menschlicher Barmherzigkeit brachten verschiedene Farmkinder ihr Essen und das Lebensnotwendige, erschienen wieaus heiterem Himmel aus den Maiswänden mit allem, was sie zum Leben brauchte.
    Und aus Dankbarkeit und wegen ihrer Schuldgefühle entschädigte die Frau sie für all diese Güter. Sie bezahlte jeden, der ihr etwas brachte, das sie brauchte. Und da dies nun einmal der Lauf der Welt ist, bildete sich rasch und unausweichlich eine Art Markt: Hier war diese Städterin in ihrem großen Wagen an einer Kreuzung, gleich weit entfernt vom ländlichen wirtschaftskrisengeschüttelten Champaign, Rantoul und Urbana, und sie brauchte Dinge und war bereit, dafür Geld auszugeben. Die Gegend veränderte sich zusehends. Aus Elend, Schuld und Mildtätigkeit erwuchsen Wohlstand, Wiedergutmachung und Markt. Die Wanderarbeiter der Wirtschaftskrise waren arm, brachten aber Dinge und Unternehmergeist mit und strömten an die Kreuzung, wo reglos ihr vom Traktor touchierter Tourenwagen mit ihr im Inneren stand. Die entschädigten Armen bauten erst Schuppen, dann Dauerzelte und

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