Alles ist grün
denken Sie denn dann?), weil es ihm Gesicht, Hals, Brust und Rücken in Brand gesteckt hatte: pochend, zystisch, vulkanisch, allergisch, verpustelt und geradezu heiligmäßig vernarbt. Der Sumach ist so schlimm, dass es wehtut – was ihn natürlich ständig daran erinnert, dass er da ist, auf seinem Körper –, und er geht nicht weg; kaum hat ein Marken-Antidot ihn davon geheilt, steckt er sich wieder an. Das Ganze ist einfach ziemlich abscheulich, und Sie können einen darauf lassen, dass Sternberg es verabscheut. Er ist unglücklich, aber auf diese vergleichsweise nette und leichte Weise von Menschen, die den Grund ihres Unglücks immerhin kennen und jetzt und immerdar verfluchen können.
Sie gehen, mit dem Gepäck, Mark wippt leicht, D. L. lendengeführt und wahrscheinlich schwanger, Sternberg folgt und wirft das Auge. Abwärts mit der Rolltreppe mit den Langhaarschneiderstufen. Aufwärts kommt ihnen wieder der Asiat entgegen, der mit den schwarzen Ponyfransen. Der ist immer noch allein. Sternberg überlegt: Wie oft sieht man irgendwo nur einen Asiaten? Die sind doch immer im Rudel unterwegs. Die Sonne steht auf Morgen bis Vormittag. Viele Ostfenstergleiten während ihrer Abwärtsfahrt diagonal nach oben. Das Sonnenlicht ist grell und unrein zugleich. Dunst gewordener Tau steigt wie ein einziger träger Körper von den grünen Maisweiten auf, der Nebel dringt schweizerkäsig in Lücken ein, wird warm, steigt auf und vermurkst die Reinheit des Lichts. Mark könnte Sternberg erklären, dass die meisten Weißen nicht merken, dass Asiaten auf der Durchreise oft allein erscheinen und liquide Konsonanten oft mindestens genauso gut artikulieren können wie die durchschnittliche Lautsprecherstimme im Flughafen. Dass ihre Augen nicht kleiner oder geschlitzter sind als unsere: Dass sie nur einen Typus unbeschnittener Lider aufweisen, der weniger Gesamtauge freigibt. Die Augen in Marks gesundem Gesicht haben einen leicht asiatischen Einschlag; besonders wenn er übernächtigt ist, wirken sie verquollen wie bei einem Boxer in den letzten Runden. Aber er ist weiß bis auf die Knochen. Seine protestantischen Vorfahren sind vor drei Generationen aus Deutschland nach Baltimore eingewandert, und er ist kürzlich von einem heimtückischen pädagogischen Mesmer von Bogenschießtrainer, hat D. L. Sternberg geschrieben, von einem ambivalenten elterlichen Katholizismus zu einer Unterart der Trinitarier namens Matharier oder Loskäufer bekehrt worden. D. L., die als Postmodernistin auch Atheistin ist, schrieb Sternberg erbittert während der formellen Konvertierung Marks, der damals nur erst ein Freund war: Die ganze Angelegenheit sei primitiv, mittelalterlich, kannibalistisch und wollüstig, »Dies Brot ist mein Leib« in faktitive Verben und epithetische Substantive überführt, eine linguistische Zauberei, ein leximantischer Etikettenschwindel: Wie können drei Dinge zugleich eines und drei Dinge sein? Können sie nicht, und damit hat sich’s. Aber Sternberg glaubt, er versteht das schon. Wenn man etwas nur stark genug will, wird »wollen« faktitiv. Sternberg will sich heilen. Handeln. Das will er mehr als alles andere.
Die entgegengesetzte Rolltreppe befördert den Asiaten auf sie zu. Mark verzichtet darauf, dem Mann in die unbeschnittenen Augen zu sehen. D. L. geht die abwärtsgleitende Rolltreppe hinab, gehört zu den Menschen, die dieses Transportmittel wie eine Treppe behandeln, ein Verhalten, das Sternberg schon immer erschreckt und verwirrt hat. Ihr Hintern ist unverhältnismäßig breit, flach und unzart.
Aber wenigstens sind sie endlich in Bewegung, auch wenn sie sich nur langsam bewegen. Es ist nicht zu leugnen, dass sie noch längst kein Transportmittel zum Juxhaus haben und dass es auch hier nur wahnsinnig langsam vorangeht. Keiner von ihnen würde das leugnen, und sie sind müde, bei D. L. verfliegt die Wirkung der Medikamente, und Mark hat Hunger, und sein Kreislauf verlangt nach Kaffee. Und Sternberg hat Stuhldrang wie Sau.
Gut, die Dinge sind also langsam, und genau wie Sie beschleicht sie dieser irritierende Verdacht, dass eine echte Erfüllung noch weit, weit weg ist, und das ist frustrierend; aber wie alle im Grunde anständigen Jugendlichen lassen sie das klaglos über sich ergehen und halten aus, weil das Geschehen ganz einfach real ist; und egal was wir wollen, die reale Welt ist für Jugendliche in unserem Alter heutzutage verflixt langsam. Wahrscheinlich ist sie weniger langsam, wenn
Weitere Kostenlose Bücher