Alles ist grün
erhalten und in eine kommerzielle Tonbühne umgewandelt worden war, jene Spots gedreht wurden. Das Spiegelbild in der kleinen Herrentoilette zieht die unscharfe und verschwommene Erinnerungsnummer ab. Er neun, sie zwölf. Sie hatte so … na ja, entwickelt gewirkt. Ihr Po hatte den Stahl der Rutsche zum Singen gebracht. Ihre Brüstchen waren eine zum Wahnsinn treibende horizontale Regelmäßigkeit in den Falten ihres Pullis gewesen. Sternberg in Shorts und schwarzen Socken, gespannt, Kavalierstart der Keimdrüsen, obwohl er damals noch gar nicht richtig in der Pubertät war (niedrige Hypophysenaktivität). Ein Winternachmittag in Illinois, der Schnee auf den Stoppelfeldern ein gutgebügeltes Laken, der Himmel blau wie brennendes Benzin, flach und weit wie alles im Freien, eine Untertasse mit unsanft geschwärzten Rändern. Das beißende Klassenzimmerlicht der aufwendigen McDonald’s-Kulisse, und D. L. und Tom teilten sich irgendwas Frittiertes unter der Aluminiumtheke, während Bühnenmütter zwitscherten und Kinder, Clown und Hamburgerklau einfach so für Innenaufnahmen choreografiert wurden. Eine Art Beatrice in Sattelschuhen, hatte sie Sternbergs erste Ideen zur Welt gebracht. Ihre Pubertätsbriefe (sie hatte seinen Brief beantwortet, was einfach echt nett war) hatten so schwungvoll, warm und leserentspannend angefangen. Die Gedichte und Erzählungen, die sie ihm später schickte, waren nicht mehr so; sie wirkten kalt, kokett aus Koketterie, da vergaß er nie, dass er in einem Sessel im Wohnzimmer seiner Eltern saß und Druckbuchstaben auf Papier las; aber sie schienen tief und mehrdeutig und voller Ideen zu sein, was man vom Vorsprechen beispielsweise für einen Wisk-Spot nun nicht behaupten konnte. Und dann das Foto, das sie ihm geschickt hatte: Sollte sie das sein? Wenn ja, musste in der Zeit zwischen Aufnehmen und Sehen etwas verdammt Unappetitliches passiert sein. Heute wirkt sie so … na ja, unter entwickelt. Wie eine totale Umkehrung. Es ist beängstigend. Und hat sie in der ganzen Zeit, seit sie sich am M. I. Airport getroffen haben, überhaupt schon einmal richtig gelächelt? Hat sie ihn auch nur einmal richtig angesehen, wenn er etwas gesagt hat? Nechtr sieht ihn an, aber das ist fast noch unheimlicher: Dieser Mark betrachtet ihn mit der distanzierten Aufmerksamkeit, mit der man etwas mustert, das man gerade isst.
Sternberg wäscht sich ohne Seife das heiße Gesicht. Hierdrinnen ist definitiv schon viel zu viel Zeit vergangen. Vielleicht warten draußen schon alle, schließen auf seine Aktivitäten und wissen also vom Gedärm.
Er hat Nechtr etikettiert. Nechtr ist der strahlend distanzierte Typ, bei dem sich meistens partout nicht sagen lässt, ob er einen auf den Arm nimmt. Was zum Geier fängt der bloß mit diesem unappetitlichen Mädchen an, das viel schlimmer als sein Foto aussieht und sagt, es arbeite gerade an einem Gedicht, das nur aus Satzzeichen bestehe. Das ein Gesicht wie … das ein langes Gesicht hat? Das grüne Kunstfaser trägt? War die Schwangerschaft gewollt? Hatte es eine Heirat mit vorgehaltener Pistole gegeben? Die Pistole muss noch erfunden werden, die Sternberg zwingen könnte, die D. L. zu heiraten, die aus jener D. L. geworden ist, eine Frau, die Mrs. Sternberg gespenstisch scheißähnlich sieht, ein Mensch, der einen, wenn man zu Besuch kommt, die ganze Zeit gnadenlos niederlächelt und hinterher wie wild zu putzen anfängt. Dazu ein kosmisches njet. Und ihre Titten können echt nicht größer sein als an jenem Kindheitstag, in jenem einzigen Spot, an dem sie beide je teilgenommen haben. Warum hat Nechtr nicht einfach angeboten, die Kosten der Abtreibung zu übernehmen? Sind Trinitarier für den Schutz des ungeborenen Lebens? Und sie riecht schräg – orangige Kopfnote, dann aber so ein Hauch von was Totem und Konserviertem. Mal ehrlich. Sie sieht aus, als ob ihre Scheide stinkt. Er persönlich hätte sich da längst abgeseilt, Mann. Abtreibung ja oder nein. Er wäre längst ein red sail in the sunset, wenn sie versucht hätte –
Mit einem gurgelnden, fast um Barmherzigkeit flehenden Seufzer fließt das Waschbecken über, Überlaufschlitz hin oder her, so unbarmherzig viel Zeit hat Sternberg hier verbracht. Das Wasser gurgelt über die Beckenkante auf den Schritt seiner Gabardinehose. Toll. Einfach toll. Jetzt sieht es auch noch so aus, als hätte er sich vielleicht nass gemacht. Und was soller dann sagen. Und selbst wenn er nichts sagt. In jedem Fall, ob
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