Alles ist grün
zu Vietnam?«, fragt Mark.
Ekel und Fassungslosigkeit ringen auf J. D.s Gesicht um Vorherrschaft. »Herrgott, du blöder Rotzlöffel, die Serie war der krasseste Fall von Politik aller Zeiten«, sagt er, fragt sich, wie dann erst die Vereinigung wird, zerdrückt die dicke Rothschild, sucht in einer zerknitterten Hosentasche und versucht, sich zwischen einer Blüte und einer schlanken Dutch Master zu entscheiden.
»Da könnte was dran sein«, meint Sternberg zu Nechtr.»Wie in den Western mit Clint Eastwood, wo der Mann mit dem Revolver aus der Wildnis zurückgerufen wird, um die bedrohte Gemeinschaft zu retten, die ihn aus Angst überhaupt erst in die Wildnis gejagt hatte.«
»Der Erlöser-Held mit der Waffe hoch zu Ross«, sagt Mark.
»Der strenge, aber liebevolle Lehrer, der ihn wie guten blauen Stahl aushärtet? Der Busch? Kinobe? Yoda?«
D. L. schweigt während dieses Wortwechsels und sieht zu, wie der Kilometerzähler langsam seinen Zauber verliert. Ihr Schweigen hat einen Grund, der in gewisser Weise mit dem historischen Konflikt der USA in Vietnam zu tun hat. Für sie existiert Vietnam nur in Form kompliziert wieder abgesagter Briefe und rauschender Telefonverbindungen und eines Vaters mit vollkommen toten Augen, den sie erstmals mit neun Jahren auf einem Rollfeld sah. Der eine Hakenhand hatte. Der sich bei Fehlzündungen auf den Boden warf (Datsuns haben keine Fehlzündungen – zu wenig PS ), der stumpfsinnig und teilnahmslos den Moskito anstarrte, der sich an seinem einen großen Bizeps nährte. Der jetzt schon lange fort ist. Der einen Zettel hinterließ.
Lance Corporal Lynn-Paul Eberhardts Zettel, den er hinterließ
Liebe Leere:
Die Chancen, in der Gegenwart zu leben, stehen heute gut.
Gruß,
Mark Nechtr weiß von D. L. nur, dass es Lieutenant Colonel Eberhardt schon lange in unbekannte Gegenden verschlagen hat. Hat sie nie nach Einzelheiten gefragt, die sie offenkundig schmerzen. D. L. hatte zwar sogar angefangen, ihrem erstenund einzigen Liebhaber alles zu erzählen, in jener Nacht, in der sie (geschützt) miteinander geschlafen hatten. Aber Mark war postkoital eingeschlafen. Sie hat ihm das nie verziehen. Wird sie auch nie. Sie war gezwungen, den ganzen einstudierten Dia- als Monolog aufzuführen und à la Ophelia beide Rollen zu übernehmen: das einzige Mal in ihrem Leben, dass sie einen Lachkrampf bekam und sich in den Arm beißen musste, um aufzuhören:
»Mein Daddy ist schon lange fort. Er ist aus der Spur. Weggetreten. Hinüber. Wo alle Zimmer weiß sind und alle Schuhe geräuschlos. Mein Vater hat den Planeten verlassen.«
»Na, solange er ab und zu noch winkt.«
»Ich glaube, der winkt nur noch seinem Essen zu.«
»Na, solange es nicht zurückwinkt …«
»Ich glaube, deswegen winkt er immer als Erstes.«
Fuhr mit ihr nur zu zerstörten Vergnügungsanlagen. Mochte brettervernagelte Fenster und queckenüberwachsene Gehwege. Las ihr mit zehn Moby Dick vor. In einem Rutsch. Inklusive Wal-Quisquilien. Sagte, sie solle ihn Lynn nennen. Kleidete sie in klassische waldgrüne Mode der Siebzigerjahre, die sie geändert und so oft gewaschen hat, dass sie lindgrün geworden ist. Sagte ihr, sie werde geliebt. Setzte sich ausschließlich mit dem Rücken zur Wand.
Mark hat nie nach schmerzhaften persönlichen Einzelheiten gefragt. Er akzeptiert, was man ihm anbietet, und nickt bloß. Er sieht die durchgezogene Mittellinie zwischen deinem und seinem Kram und würde sie niemals ungebeten übertreten. Behält seine Meinung für sich. Macht niemals Druck. Auch darum ist er überall so beliebt. Und darum wird sie ihn auch ein Jahr nach dem Zeitpunkt, zu dem das kleine Wunder erscheinen sollte, aber nicht wird, im Schlaf verbrühen. Schlimme Sache. Aber Angriff oder Verteidigung? Das entscheiden Sie.
Ja, auch das war eine Abschweifung. Falls sie unwichtig ist, dann sind wir gerade in einem Stadtteil, aus dem Sie lieber ganz schnell wegwollen, die Fenster hochgekurbelt und die Türen zentralverriegelt, mit geprüftem Ölstand und ohne verdächtige Anzeigen am Armaturenbrett.
Aber ein toller Liebhaber, der Mark. Kerngesunder Stecher. Energie bis dorthinaus. Kann sie in einen Tiefschlaf vögeln, den sonst nur die Dalmanierten kennen. Unermüdlich. Nach Belieben hart oder schlaff. Kommt nur, wenn er will, wie eine Katze. D. L. glaubt, sie kennt den Grund: die frittierten Rosen, die der taktvolle alte Langfinger an die Eleven verteilt, die er willkürlich unter seine Fittiche
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