Alles ist grün
Abwasser braust. Sternbergs Hände liegen an der Scheibe, und sein Gesicht sieht heraus. J. D. und D. L. sind hinter den beschlagenen Fenstern nicht zu erkennen. Der bunte Clown steht auf der durchhängenden Terrasse der dritten und entferntesten Baracke und klopft an eine offene Tür.
Die wirksame und verwaiste Vogelscheuche, neben der siestehen, ist ein Kreuz aus plump zusammengenagelten Brettern, dem man eine ausgebleichte Tarnjacke vom Militär umgehängt hat. Sie hat keinerlei Raffinesse. Der Name auf der Brust der Militärjacke ist nicht mehr zu entziffern. Die Vogelscheuche trägt eine durchweichte Mütze der Chicago Cubs auf dem angefaulten Kürbis, der als Kopf dient, und da es ein Kreuz ist, streckt sie die Arme zu den Seiten aus, allerdings sind die Bretter in Zacken zerbrochen, um Ellbogen zu simulieren, und die Jackenärmel baumeln zur Erde. Die gebrochenen Arme bieten Magda, die unter einem leeren Ärmel steht, ein bisschen Schutz.
Mark hat einen Blick dafür, dass Magda Ambrose-Gatz klug ist. Nicht schlagfertig, geistreich oder belesen. Keine Ideenfabrik oder Kreativschleuder. Sie ist einfach klug, wie reines Durchhalten, das Überstehen von Alltagsschikane und allgemeinem Scheiß einen klug machen. Sie war in Ambroses Erzählung, erzählt sie Mark, allerdings verkleidet und verzerrt, denn ihr Gesicht war schon damals orange. Und ja, sie hatte mit Ambrose den allerdings befristeten heiligen Bund fürs Leben geschlossen. Und er bedeutet ihr noch immer etwas. Obwohl sie schon wahnsinnig lange keinen Kontakt mehr haben. Aber sie wollte mit Mark Nechtr sprechen, sagt sie, hier, im fehlenden Schatten der Vogelscheuche, weil sie das Gefühl hat, unter seiner coolen äußeren Pose sei er selbstbewusst genug, um sich zu sagen, er könnte dermaleinst Ambroses Kahlkopfkrone und Kugelschreiberzepter erben und der nächsten Generation derselben traurigen Jugendlichen etwas zu singen und zu sagen haben.
Der Sturm gehört noch nicht zu den wirklich schlimmen Stürmen, wie es sie im Mittleren Westen gibt, bemerkt sie, während sie bei der Vogelscheuche im horizontalen Regen stehen. Zu windig, um wirklich gefährlich zu werden. Die schlimmen Stürme verstecken sich immer hinter absoluterWindstille und einem gelbgrünen Himmel. Und dann geht man in den Sturmkeller.
Mark sollte sich von den frittierten Rosen fernhalten, findet Magda. Nicht weil sie verhängnisvoll oder böse sind. Magda macht geltend, sie habe Ähnliches konsumiert, sowohl mit ihrem Geliebten in Maryland als auch später, um ihr orangenes Gesicht und ihre Geschichte der Ausschweifungen zu behalten, trotz des imperialen Marschs der Zeit durch eine Wirtschaftskrise, drei Rezessionen, einen Krieg, eine Polizeiaktion, einen Konflikt, neun Dürren, drei Landplagen durch mutierte Schädlinge, zwölf so reichliche Maisernten, dass sie wertlos waren, die Deregulierung einer Fluggesellschaft, drei (hoppla, sind ja schon vier) Präsidentschaftsskandale sowie die letztendliche Erosion der landwirtschaftlichen Subventionen infolge des Drucks der Supermarktlobby. Und nicht, weil die toten Snacks die Werbung verkörpern, klobige Symbole oder obszön sind, oder weil sie Mark blockieren, ihn in sein Schweigen einsperren, das er so fürchtet.
Sondern einfach, weil es nicht recht ist. Und ›recht‹ meint mehr als Sollen. Es bedeutet auch Richtung. Der Versuch, Furcht zu Begehren zu verarbeiten, ist ein Rückschritt. Furcht und Begehren sind schon vermählt. Frei. Jede hat das andere seit vorchristlichen Zeiten aufgespießt. Das, wovor man Angst hat, hat einen immer auch bewegt. Und wohin man unterwegs ist, war immer das eigentliche Ziel, das eigene Begehren.
(Das ist alles eine Zusammenfassung, eine, wie heißt das gleich, Synopse, und zugegebenermaßen nicht in Magdas eigener Stimme vorgetragen, der ich keine Gerechtigkeit widerfahren lassen kann.)
Das, was einen aufschließt, auch heute, ist das, was man wollen will. In dem, was man schätzt. Und was man schätzt, ist jenen gewissen Dingen vermählt, die man einfach nicht tut. Und hier kommt ein Klischee, das seinen Status als Klischeeverdient hat: Ob man frei oder eingesperrt ist, hängt einzig und allein von dem ab, was man will. Was man hat, spielt eine ungefähr genauso große Rolle wie die Farbe des Himmels. Oder der Käfigstangen.
Der Regen klingt wie Regen. DeHavens Do-it-yourself-Auto wimmert und grummelt über dem schäumenden Entwässerungsgraben und dem kahlen Randstreifen. Die großen
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