Alles ist mir nicht genug
schon da war.«
Sie drehte
sich zu Dan um und musterte ihn kritisch. Seine Haare waren verfilzt, und er
hatte immer noch das kaffeefleckige T-Shirt an, das er schon vor zwei Tagen
getragen hatte. »Du siehst scheiße aus.«
Dan löffelte
Instantkaffee in eine Tasse und ließ Wasser aus dem Hahn laufen, bis es heiß
genug war, um das Pulver aufzulösen. Er füllte die Tasse und trank einen
Schluck. »Ich arbeite an einem Gedicht«, sagte er, als würde das alles erklären.
Jenny machte
die Kühlschranktür auf und griff nach einem Kaffeejogurt, doch dann zog sie die
Hand wieder zurück und knallte die Tür zu. Sie wollte bis zu ihrem Wiedersehen
mit Nate auf gar keinen Fall fett werden.
Dan pustete in
seinen Kaffee und beobachtete sie. »Du weißt schon, dass es Vanessa war,
oder?«, fragte er. »Die euch im Park gefilmt hat, meine ich.«
Jenny fuhr
herum. Sie zerrte ihren BH zurecht, der ihr hochgerutscht war. Seit sie den
Film auf Dans PC gesehen hatte, war sie nicht mehr im Internet gewesen, und sie
war auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, herauszufinden, wer ihr das
angetan hatte. Wobei sie die Vorstellung, Vanessa könnte den Film ins Netz
gestellt haben, absurd fand.
»Woher weißt
du das?«
Dan zuckte mit
den Schultern. »Schau ihn dir doch noch mal an. Den kann nur Vanessa gedreht
haben.«
Jenny
verschränkte die Arme unter dem Busen. »Das mach ich garantiert nicht«, sagte
sie. »Außerdem... na und?« Sie kannte Vanessa gut, weil sie den Rancor herausgab, die schuleigene Kunstzeitschrift, bei der Jenny mitarbeitete. Falls
es tatsächlich Vanessa gewesen war, die Nate und sie im Park gefilmt hatte, gab
es dafür wahrscheinlich eine vollkommen einleuchtende Erklärung. Und genauso dafür,
wie der Film ins Internet gelangt war.
»Ich dachte,
es interessiert dich«, sagte Dan und schlurfte in sein Zimmer zurück. Er hatte
die Wörter auf der Anti- Schreibblockade-Liste immer wieder neu arrangiert und
versuchte, sie jetzt in eine endgültige Reihenfolge zu bringen, um endlich
sein Gedicht »schlampen« schreiben zu können.
hure,
sklave, geschoren, schwarz, spitze, eis, kälte, regen, trauer, wischen, schlaf,
kaffee, fleck, schuld...
Es würde ein
zorniges Gedicht werden, ganz klar, aber es ging nicht um Zorn. Es handelte
davon, wie man sich fühlt, wenn man begreift, dass ein geliebter Mensch nicht
der ist, für den man ihn gehalten hat. Seine Schwester Jenny war kein
niedliches, unschuldiges Mädchen, und Vanessa war eine Voyeurin, die versaute
Reizwäsche anzog und die privatesten Momente anderer für ihre eigenen Zwecke
ausnutzte.
Dan pickte
sich hier und da Wörter aus seiner Liste, fügte, wo es nötig war, Verben und
Adjektive hinzu und schrieb...
wisch mir den schlaf aus den äugen und schenk mir
kaffee nach
jetzt erst verstehe ich, was du mir schon die
ganze zeit zu sagen versuchst
mit
deinem geschorenen schädel und indem du mir (so zart fühlend) in satin und
spitze gegenübertrittst: du bist eine hure
Das klang
ehrlich und kraftvoll, Dan war sehr zufrieden. Es tat so gut, endlich mal
wieder eine Seite zu füllen. Sobald das Gedicht fertig war, würde er es Vanessa
mailen. Das Schreiben war seine einzige Möglichkeit, sich über seine Gefühle
klar zu werden, und seine einzige Möglichkeit, sie Vanessa mitzuteilen, bestand
darin, ihr das Geschriebene zu schicken.
v vermittelt verse
Ruby steckte
den Kopf in Vanessas Zimmer. Sie trug eine Jacke aus schwarzem Gummi, Jeans
und spitze schwarze Schuhe mit Pfennigabsätzen; den schwarzen Pony hatte sie
ultrakurz geschnitten.
»Ist
irgendwelche Post gekommen?«
Vanessa
schüttelte den Kopf. Ihre Eltern hatten von ihrer Tour durch europäische
Galerien bisher noch nicht mal eine Weihnachtskarte geschickt.
»Anrufe?
Nachrichten?«
Vanessa
schüttelte wieder den Kopf.
»Komm doch mit
raus«, bot Ruby an. »Hey, immerhin hast du Ferien!«
Vanessa winkte
ab und zog sich den Reißverschluss ihrer schwarzen Kapuzenjacke bis zum Kinn
hoch. Sie hatte ihrer Schwester noch nicht verziehen, dass sie ungefragt ihre
Kamera verliehen hatte, und wollte einfach nur zu Hause bleiben und nichts
tun, außer vielleicht mit Dan zu reden.
Seit Freitag
hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Das war die längste Funkstille in der
Geschichte ihrer dreijährigen Freundschaft. Sie wollte ihm so gern alles erklären.
Dass der
Film nur durch
ein schreckliches Unglück im Internet gelandet war und sie die Dessous nur
gekauft hatte, um ihn ein bisschen
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