Alles ist mir nicht genug
sie,
er würde sich vor Sehnsucht nach ihr so verzehren, dass er früher aus Maine
zurückkommen und nachts heimlich über die Feuertreppe in ihr Zimmer einsteigen
würde. Jenny verbrachte Stunden damit, sich in allen Details auszumalen, was sie
bei ihrem Wiedersehen alles miteinander tun würden.
Der arme Nate
saß auf seiner Insel im kalten, verschneiten Maine fest. Gestern war
Weihnachten gewesen. Wahrscheinlich hatte er den ganzen Tag mit seinen Eltern
alte Filme geschaut und hin und wieder in den Schnee hinausgeblickt und sich
gefragt, wann er ihre Stimme wieder hören würde. Jenny fand es eigentlich gar
nicht so schlimm, nicht mit ihm telefonieren zu dürfen - die Zwangstrennung
machte ihre Liebe nur noch stärker -, trotzdem wollte sie ihm gern zeigen, dass
sie an ihn dachte und ihn noch mehr liebte als vorher. Deshalb kam sie auf die
Idee, ihm ein Carepaket zu schicken.
Sie kleidete
einen alten Nike-Turnschuhkarton mit Alufolie aus und legte als Erstes ihre
zerfledderte Taschenbuchausgabe von »Romeo und Julia« hinein. Deren Geschichte
hatte so viele Ähnlichkeiten mit der von ihr und Nate: Sie liebten sich und
durften einander nicht sehen, doch am Schluss siegte ihre Liebe. Natürlich
würden sie und Nate im Gegensatz zu Romeo und Julia erst mal nicht sterben. Sie
würden heiraten und eine große Familie gründen und ihren Enkelkindern später
erzählen, wie sie sich an einem sonnigen Herbsttag im Central Park kennen
gelernt hatten, als alle Planeten des Universums in perfekter Konstellation
zueinander standen.
Jenny legte
einen Doppelpack Heidelbeer-Pop-Tarts in das Päckchen. Sie liebte Pop-Tarts
über alles, gönnte sie sich allerdings nur selten, weil sie zu viele Kalorien
und gar keinen Nährwert hatten. Aber ihr gefiel der Gedanke, dass Nate etwas
essen würde, das sie liebte, und dabei an sie dachte.
Außerdem
schickte sie ihm ein Foto, das Dan letzten Sommer in Pennsylvania von ihr
gemacht hatte, als ihr Vater mit ihnen übers Wochenende nach Hershey gefahren
war, um der mörderischen Hitze zu entfliehen. Sie stand in einem gelben
Trägerkleid am Rand des Motelswimmingpools. Ihre Haare glänzten schön, und ihre
gebräunten Arme verdeckten teilweise ihre Brüste, sodass sie nicht ganz so
riesig wirkten. Das fand sie gut.
Und dann legte
sie noch das Programmheft des »Nusskna- ckers« dazu, das sie aufgehoben hatte.
Nate sollte wissen, dass dieser Tag der schönste Tag ihres Lebens gewesen war -
der Tag, an dem er »Ich liebe dich« gesagt hatte.
Sie schnitt
sich auch noch eine dicke Locke ab, band sie mit roter Wolle zusammen und warf
sie in den Karton. Ein bisschen makaber sah das schon aus. Wie die Erinnerung
an eine Tote, aber Nate sollte ihre Nähe spüren, und die Locke schien ihr dazu
ein geeignetes Mittel.
Damit war das
Päckchen fertig. Sie legte den Deckel auf die Schachtel, klebte sie mit
Tesafilm zu und wickelte sie in die herausgerissenen Seiten von alten
Teeniemagazinen, die bei ihr rumlagen. Dabei achtete sie darauf, keine Seiten
zu nehmen, auf denen für Tampons, Verhütungsmittel oder Medikamente gegen
Scheidenpilze geworben wurde. Zum Schluss klebte sie noch einen gelben Zettel
mit Nates Adresse in Maine auf das Päckchen. Sie hatte sie sich extra ins
Adressbuch geschrieben, genau wie die Anschriften der anderen Häuser der
Archibalds in Montauk, Nizza, St. Anton und auf Barbados. Man wusste ja nie.
Sie klaute
ihrem Vater zwanzig Briefmarken aus der Schreibtischschublade, klebte sie auf
den Karton und ging damit in die Küche. Dort öffnete sie die Hintertür, um das
Päckchen für den Briefträger in den Hausflur zu stellen. Das war einer der
coolen Vorteile, wenn man in einem so alten Haus wohnte wie die Humphreys.
Unten gab es keine Briefkästen, weshalb der Briefträger mit dem ehemaligen
Lastenaufzug alle Stockwerke abklapperte und den Mietern die Post direkt vor
die Tür lieferte beziehungsweise dort abholte. Jenny stellte den Karton auf den
Boden und überlegte stirnrunzelnd, ob sie ihn vielleicht noch einmal aufmachen
und den Tanga dazulegen sollte. Aber das wäre nuttig. Außerdem hatte Nate ihn
ihr zu Weihnachten geschenkt. Wenn sie ihn zurückschickte, dachte er womöglich,
er würde ihr nicht gefallen.
Dan kam in die
Küche und sah Jenny an der Hintertür stehen. »Was machst du denn da?«, fragte
er misstrauisch. Sein Vater hatte ihn angewiesen, ein Auge auf sie zu haben,
und er nahm seinen Auftrag sehr ernst.
Jenny schloss
die Tür. »Gucken, ob die Post
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