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Alles total groovy hier

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Titel: Alles total groovy hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Wasser strömte aus einem kanaldeckelgroßen, splittrigen Loch in ihrem Rumpf, vorne, auf Höhe der Kajüte. Roman bellte einen Befehl, und die geifernde, übel riechende Horde zerrte mich bis direkt vor das Loch, bis in den Wasserstrahl. Ich begriff nichts, ich protestierte, doch der Mob überschrie mich zigfach, vor allem die Frauen.
    Hilfe suchend sah ich mich nach meiner Leibgarde um, sah sie in höchster Konzentration Plastiktonne um Plastiktonne mit Wasser füllen. Und zwar alle, einer wie der andere, mit dem Rücken zum Geschehen.
    Ziemlich abrupt lief der Rumpf leer, und man riss mich an den Haaren bis fast hinein in das Loch.
    Hidalgo sah mich an. Wenn er es war. Mit dem einen Auge, das ihm verblieben war, in dem halben Kopf voller Holzsplitter, den ihm die Explosion gelassen hatte. Vermutlich ein Sprengsatz, von außen am Bootsrumpf angebracht.
    Und jeder um mich herum schien überzeugt, dass Schisser dahintersteckte. Und dass ich, sein Freund, gekommen war, mich in stiller Zufriedenheit am Erfolg des Anschlags zu ergötzen. Als ob Schisser Sprengstoff benötigte, um einen Mann umzubringen. Sprengstoff, diese Waffe für Feiglinge. Ich versuchte zu argumentieren, beteuerte meine Unschuld wie schon lange nicht mehr, in den höchsten Tönen und in sämtlichen mir geläufigen Sprachen, doch ein Mob ist ein Mob, und der Anblick des Toten verwandelte die Hysterie in Raserei. Jeder, jeder Einzelne aus der Menge schien mir persönlich an den Kragen zu wollen, an den Hals. Ich wurde hin-und hergezerrt wie ein Stück Fleisch, um das sich ein Rudel Hyänen balgt. Es war schauderhaft, es war grauenerregend.
    »Sag uns, wo Schisser ist!«, schrie mir Roman ins Gesicht, und ich schrie »Sag du's mir!« zurück, schäumend vor Wut, befeuert durch eine Angst, die mich schlottern ließ. »Du weißt doch so gut wie ich, dass er tot ist!« Er blickte verständnislos, dann verschwand sein Gesicht in der wogenden Menge hassverzerrter Visagen.
    Jedes Geräusch um mich erstarb, meine Ohren schalteten einfach ab, als ich sah, dass irgendjemand allen Ernstes mit einem Strick hantierte, eine Schlaufe knotete, die man mir um den Hals zu legen versuchte, all meiner Gegenwehr zum Trotz, und alle Geräusche kamen zurück, als der Schuss ertönte, ein wirklich beeindruckender Knall, aus einer Pumpgun, nur knapp über die Köpfe der Anwesenden hinweg abgefeuert. Von Enrique. Einen Moment lang hielt der gesamte Hafen die Luft an. Schwamm drüber, dachte ich, über den Schlag auf meine Schulter, dachte ich, tut auch kaum noch weh. Dann war der Schuss verhallt, der Moment vorbei, der Bann brach, die Menge stürzte sich erneut auf mich, zog mich, Strick jetzt tatsächlich um den Hals, mit sich, auf die nächste Laterne zu, und wieder kam alles abrupt zum Stehen, als neben Enrique ein pechschwarzer Mannschaftsbus anhielt und binnen Sekunden ein Kontingent Bereitschaftspolizei in Kampfanzügen ausspie, Helme auf den Köpfen, extra lange Gummiknüppel in Händen. Ich saß auf dem Arsch, Arme über dem Kopf, Kopf zwischen den Knien, während der Angriff über mich hinwegbrandete, und ich saß immer noch fast genauso da, als die Truppe zurückgeschlendert kam und unter viel gegenseitigem Schulterklopfen und mannhaften Scherzen begann, mit feuchten Tüchern ihre Knüppel von Blut zu reinigen.
    »Siempre alli, dende pasa mucho«, sagte eine Stimme neben mir, und ich sah auf zu Capitan Rodriguez.
    »Das Gleiche könnte ich zu Ihnen sagen«, entgegnete ich. Der Mob war in alle Winde verstreut, nur Roman versuchte, zurück zu seinem Boot zu kommen, scheiterte aber an der Bereitschaftspolizei, bis Capitan Rodriguez ein kurzes Kommando rief und man Roman zu uns durchließ. Der Capitan sagte etwas über mich hinweg, sprach ins Leere, wenn man so will, im Ausdruck nachdenklich, mit einem Unterton von Drohung.
    »Er sagt, er versucht an dieser Küste die Ordnung aufrechtzuerhalten«, übersetzte Roman und half mir, den Strick von meinem Hals und über den Kopf zu ziehen.
    »Eine Aufgabe, die völlig unnötig erschwert wird durch Typen wie uns.« Mühsam stemmte ich mich hoch und starrte den Zigeuner an, zittrig in einer Mischung aus Wut und noch keineswegs überstandener Panik. Er zuckte entschuldigend die Achseln und blickte einigermaßen reuig drein. Und damit war der Vorfall für ihn abgetan. Und, mit etwas zeitlicher Verzögerung, auch für mich. Es ist unglaublich, wie so etwas manchmal funktioniert. Gerade noch beinahe gelyncht worden, mein Ende an

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