Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles total groovy hier

Alles total groovy hier

Titel: Alles total groovy hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
mich los.
    »Ohne Leroy und Alma wäre sie schon tot«, sagte Friedrich und gab mir einen Klaps auf die Schulter. »Versuch's mal so zu sehen.«
    Ich nickte. Sie nickten. Zogen ab. Und ich ging nachschauen, was es war, das Alice so aufgebracht hatte, ihre anklagenden Schreie immer noch schrill in meinen Ohren.
    »Ihr selektiert«, hatte sie geschrien, wieder und wieder.
    »Ihr selektiert! Wie an der Rampe von Auschwitz!«
    Dabei war sie von der Mole gekommen. Ich lief die ganze Kaimauer entlang und fand nichts Ungewöhnliches.
    Hatte es sich möglicherweise doch nur um ein Hirngespinst gehandelt, einen weiteren Blitzschlag quer durch den säurehaltigen Glibber im Inneren ihres Kopfes?
    Am Ende der Mole machte ich achselzuckend kehrt und ging auf der Leeseite zurück, entlang des eigentlichen, wenn auch ungenutzten Hafenbeckens. Nichts. Doch.
    Ich stand, ruckartig, starrte.
    Mittendrin, wohl hereingespült von der Flut, fast ganz unter Wasser, trieb ein Bündel. Ein kleines Bündel. In weiß und rosa. Und es trieb mit dem Gesicht nach unten. Ich legte sie behutsam auf den Kai, zog mich hoch. Vorsichtig hob ich sie vom Beton, trug sie in meinen Armen zum Strand und legte sie rücklings in den weichen Sand. Schloss ihre Augen. Dachte daran, auch den Mund zuzudrücken, brachte es aber nicht über mich, genauso wenig, wie ihr die nassen Sachen auszuziehen. Tropfen fielen hörbar auf den kleinen Leichnam, als ich die schlaffen, willenlosen Arme links und rechts an den Körper schmiegte.
    »Scuzzi!«, brüllte ich mit einer Stimme, die ich von mir noch nicht kannte.
    Er kam angerannt, die Augen weit, so erstaunt wie erschreckt.
    »O nein«, sagte er leise.
    »Unter der Gasflasche im Hymer liegt dein Handy. Hol es her und mach ein Foto.«
    Er fragte nicht, sondern rannte.
    Mit der Rechten hielt ich das Handy umklammert, mit der Linken, mit Zeigefinger und Daumen, sachte ihre Hand. So klein. So kalt.
    Doch nicht halb so kalt wie ich. Ich war schockgefroren, zu einem Block, der nur ganz langsam auftauen durfte, weil die Folgen sonst unabsehbar wären.
    Leute erschienen in meinem Blickfeld, sprachen auf mich ein, gaben irgendwann auf und machten Platz für andere.
    Leroy, betroffen, aufgelöst wie seine Haartracht, Spuckeblasen in den Mundwinkeln. Alma, ihr mütterliches Mitgefühl bis ins Mark erschüttert, versuchte sich an Tränen, die ohne Hilfe einer rohen Zwiebel nicht kommen wollten. »Sie muss in der Dunkelheit unbemerkt über Bord gefallen sein«, schluchzte sie, versuchte mich zu berühren, in einer Geste geteilten Schmerzes, geriet dabei an meinen Blick und stolperte rücklings davon.
    Gardist Enrique und sein älterer Kollege kamen, nickten ernst und stellten Fragen, die andere für mich beantworteten. Irgendwann rollte der graue Transporter auf den Sand, sein Fahrer im weißen Overall mittlerweile fast ein alter Bekannter, genauso wie Capitan Rodriguez, den ein Matrose im Schlauchboot an Land setzte. Rodriguez wechselte eine paar Worte mit den Gardisten, die daraufhin alle Unbeteiligten zurückdrängten. Er trat zu mir. Machte ein Paar Notizen auf einem Klemmbrett.
    »Just the child?«, fragte er.
    Ich nickte.
    »No other bodies?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Unusual«, meinte er, unterschrieb und hielt mir ein Formular hin. Ich sah vom Formular hoch in seine blanken schwarzen Gläser und hindurch. Kommentarlos riss er das Formular zweimal durch und warf die Fetzen hinter sich. Griff in seine Brusttasche, zog eine Visitenkarte hervor, reichte sie mir.
    »In case you have something to tell me.«
    Ich nahm sie. Er ging.
    Scuzzi musste mir hochhelfen, ich war zu verkrampft, es allein zu schaffen. Gemeinsam hoben wir die kleine Leiche in den hölzernen Kindersarg, schlossen den Deckel, trugen den Sarg zum Auto, schoben ihn hinein, schlossen die Heckklappe.
    Anschließend nahm ich meinen Platz wieder ein, mit Blick aufs Wasser, in die Distanz.
    Der Transporter verschwand, die Guardia Civil, die Küstenwache. Nichts, nichts und niemand rührte sich an Bord der Gizelle. Roman strich eine Weile um mich herum. Bückte sich nach einem Formularfetzen, hielt ihn ins Licht, sammelte dann auch die übrigen auf und steckte sie ein.
    »Furchtbare Sache«, sagte er schließlich. »Gleichzeitig, auch wenn das jetzt herzlos klingt, brennt mir der Arsch, Kristof. Wenn ich mein Boot nicht heute noch ins Wasser bringe, bin ich es los.«
    Ich streckte einen Arm aus, er zog mich hoch, und wir waren unterwegs.
    Wir hatten die Bretter

Weitere Kostenlose Bücher