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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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verlieren.«
    »Immerhin.«
    Er lachte.
    »Ich hoffe, du hast nicht nur die eine.«
    Dann hörte er sie seufzen. Die Leitung machte etwas mit ihrer Stimme. Oder Sally redete jetzt leiser oder nicht ins Gerät.
    »Ich hänge an dir selbstverständlich mehr als an ihr.«
    »So soll es sein.«
    Der Tonfall, mit dem er das gesagt hatte, weckte eine traurige Erregung in ihr, plötzlich erschien ihr wieder manches machbar, wenn auch unsicher, was die Einzelheiten anging.
    »Ich vermisse dich jetzt sehr«, sagte sie leise. »Es kommt wohl immer in Wellen.«
    Sie wartete, und da sie schon beim Mittagessen erwähnt hatte, dass Alfred am Abend an einer Sitzung im Museum teilnahm und deshalb seinem haushüterischen Hobby erst wieder in der Nacht nachgehen konnte, versprach Erik, er schaue, was sich machen lasse, er komme vor dem Abendessen vorbei. Das geschah gegen halb sieben. Keines der Kinder war in der Nähe und keines wurde erwartet, also schliefen sie miteinander, heftig und schnell, ohne Befangenheit, das half Sally wieder auf die Beine. Sie erneuerteihr Make-up. Dann eilten sie zum Auto, Erik am Steuer, Sally ließ den Gurt einschnappen, sie versicherte sich, dass der Gurt saß, dann quietschten auch schon die Reifen. Die Zeit, die gemessen und eingeteilt werden muss, war knapp kalkuliert in diesem Segment.
    »Du hast gerade ein Stoppschild überfahren«, sagte sie lakonisch.
    »Die Stelle war übersichtlich«, sagte er.
     
    Pünktlich um halb acht standen sie vor dem Gerngross. Weil nicht vorgesehen war, dass Sally und Erik einander schon getroffen hatten, ging Erik voraus auf die Dachterrasse, um einen Tisch zu besetzen. Sally platzierte sich im Eingangsbereich und wartete auf Nadja. Sie kam nach wenigen Minuten. Sie fuhren mit dem Lift nach oben und begrüßten Erik. Unmittelbar danach begriff Sally, dass sie bei der Begrüßung zu gelassen gewesen war, zu cool , wenn man bedachte, dass sie und Erik einander offiziell länger nicht gesehen hatten. Es war linkisch bis zum Extrem! Glücklicherweise schien Nadja mit ihren Gedanken woanders.
    Während des Essens taute Nadja auf, plötzlich quasselte sie wie ein junges Mädchen, es war, als habe es die Bemerkung vom Nachmittag nicht gegeben. Erik, der nur ein laues Interesse für die Unterhaltung aufbrachte, starrte zum Fenster hinaus auf die Türme der Barnabitenkirche und dahinter auf den Flakturm im Esterházypark. Der Symbolgehalt der Szene war Sally durchaus bewusst. Ziemlich bizarr.
    Wie es ihr gelingen konnte, mit Nadja völlig zwangloszu tratschen mit der Feuchte zwischen den Beinen, während Erik gelangweilt zum Fenster hinausstarrte, war unbegreiflich. Zu einer anderen Gelegenheit hatte sich Erik in bemerkenswerter Gefasstheit mit einem ahnungslosen Alfred unterhalten, Sally gleich daneben. Als sie Erik an einem anderen Tag darauf angesprochen hatte, hatte er geantwortet, dass Alfred sein Freund sei, aber das stehe definitiv auf einem anderen Blatt als seine Beziehung zu Sally. Abgesehen von der Erregung, die er in Sallys Gegenwart verspüre, fühle er sich Alfred gegenüber entspannt.
    Vielleicht war es etwas Ähnliches, wenn Sally mit Nadja die Köpfe zusammensteckte. Die alte Freundschaft ließ manches Neue vergessen. Wenn auch bestimmt nicht alles.
    Denn die Situation war in einem Maße ehebrecherisch, es ging nicht, dass sie mit blinder Sorglosigkeit darüber hinwegsahen, wie alles immer weiter hochkochte. Und gleichzeitig sank das moralische Niveau immer mehr. Zu viel von sich selbst setzte jeder ein, und wenn’s für die Ehepartner kein Rücksichtnehmen mehr gab, gab es dasselbe bald auch für die Geliebten nicht mehr. Die Schuldgefühle mussten irgendwohin, man konnte sie nicht ewig von die Tür kehren, sie türmten sich dort auf und waren als Hintergrund nicht mehr zu übersehen. Etwaige Unschuldsgefühle ließen sich weit weniger leicht horten. Sally hatte es an der Änderung ihrer Gefühle Alfred gegenüber festgestellt: Früher oder später brach der Kampf offen aus.
    Während dies alles in ihren Gedanken vorbeiglitt, mal sanft, mal kantig, wie eine Gruppe Eisläufer in bodenlangen, offenen Mänteln, betrachtete sie Erik. Er stützte sein Kinn mit beiden Händen, Sally glaubte zu bemerken, dasssein Blick ruhig und gefasst draußen über der Stadt stand, sehr selbstbewusst, ganz so, als hielte er das Bild, das sich bot, mit seinem Blick fest, nicht umgekehrt. Und drunten in der Mariahilfer Straße all die brodelnden Begierden und die ungenutzten

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