Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Celebrity
von morgen und damit eine Geldanlage wert, die, nach der Art des »Venture Capitalism«, also der Risikokapitalanlage, ein zwar
ungewisses, aber möglicherweise hohes »Return of Investment« verspricht.
Doch als würde all das noch nicht reichen, ist es mit dem bisher Gesagten in Hinblick auf die Einpassung von Künstlerstrategien
zur Entfachung eines wirtschaftlichen »Wind of Change« noch längst nicht getan. Die Kreativen sollen nicht nur zum Reichtum
der Gesellschaft einen entscheidenden Beitrag leisten, im Grunde sind die Kreativen diejenigen, von denen der Umbau der Gesellschaft
selbst erwartet wird. So fordert Adrienne Goehler etwa: Eine Politik, die konservativ in dem Sinne ist, dass sie das Bestehende
bewahrt und sich nur mit Verzögerung an die Erfordernisse des sozialen und ökonomischen Wandels anpasst, sollte den Künstlern
zumindest einen Teil ihres Terrains räumen. Die Politik sollte die Ressourcen der Kultur besser nutzen, um die Gesellschaft
zu einer regelrechten »Kulturgesellschaft« umzubauen: »Von einem lenkenden Staat zu einer denkenden und tätigen Gesellschaft.« 98 Was das sein soll, will sie zwar so exakt nicht sagen, aber man kann es sich etwa so vorstellen: Im Ausprobieren und Nutzen,
was funktioniert (sowie: Bleibenlassen, was nicht funktioniert), seien die Kulturkreativen ja perfekt spezialisiert – und
genau das sei es, was moderne Gesellschaften brauchen, um funktionstüchtig zu bleiben. Die Kulturkreativen erscheinen aus
dieser Perspektive als die Turnlehrer oder besser Aerobictrainer einer etwas eingerosteten Gesellschaft, die darauf getrimmt
werden müsse, ständig in Bewegung zu bleiben – zum Wohle des globalen Wettbewerbs, zum Zwecke der stetigen Anpassung an soziale
Rahmenbedingungen, die heute in einer |97| permanenten Revolution eigener Art ständig in Fluss sind. »Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts ist Kreativität – und nicht mehr
Stahl«, proklamiert Goehler. »Deshalb geht Politik an der ökonomischen Entwicklung vorbei, wenn sie die Künste und die Wissenschaften
weiterhin als Subventionsempfänger versteht und nicht als Investitionsgut.« 99
All das hat natürlich vielfältige Folgen. Die simpelste davon: Berührungsängste gegenüber Kapitalgebern, die Künstler aus
Angst vor Kommerzialisierung lange hatten, sind heute meist nicht mehr auszumachen. So wurde bei den Filmfestspielen in Cannes
vor zwei Jahren ein ästhetisch wunderbarer Kurzfilm des amerikanischen Meisterregisseurs Spike Lee vorgestellt. Er erzählte
mit den Mitteln Hollywoods eine Geschichte über das Lebensgefühl in der Großstadt, die vorbeirauscht, während die imaginäre
Hauptperson im Auto fährt. Das Erstaunliche daran: Es war ein Werbefilm für BMW. 100 »Die Entertainmentindustrie war schon immer die größte Marketingmaschine der Welt«, sagt Torsten Müller-Östvös, der Marketingchef
von BMW. »Das werden wir uns zunutze machen.« Was derzeit zwischen Kultur und Kommerz vor sich gehe, »ähnelt einer Versuchsreihe
in einem gigantischen Genlabor«, urteilt
Die Zeit
– übrigens in ihrem Wirtschaftsteil. »Formen werden vermischt. Grenzen aufgebrochen. Genetische Codes von Kultur und Werbung
neu zusammengeschweißt. Früher Undenkbares ist ohne weiteres möglich geworden«. So führte im Frühjahr 2005 der Popstar Lee
Hyo Lee die koreanische Hitparade an – mit dem Lied
Anymotion
, das vom Elektronikhersteller Samsung bezahlt wurde. Es war ein Loblied auf ein neues Handy. Und Christina Aguilera hat ihr
Lied
Hello
, das für den Start der neuen Mercedes-Benz A-Klasse im Jahr 2004 komponiert wurde, exklusiv an den Automobilkonzern verkauft.
|98| Natürlich kann man sagen, dass die Strategien von Hollywood und des Popentertainment seit jeher kommerzialisiert waren, dass
dies eben die Eigenart jener Phantasiefabriken ist, deren banalisierende Effekte schon Theodor W. Adorno und Max Horkheimer
im legendären »Kulturindustrie«-Kapitel ihrer »Dialektik der Aufklärung« in dunklem Moll tönendem Sound verdammt haben (jener
Adorno, der schon Jazz für Teufelszeug hielt). Man kann sagen, wenn Millionen in den Kulturbetrieb gepumpt werden, verbessern
sich die Optionen vieler Künstler – und die Chancen derer, die nicht so marktgängig produzieren, werden nicht notwendig eingeschränkt.
Dennoch gilt auch hier, was die Philosophin Rahel Jaeggi allgemein so formuliert: »Während Freiheit des Marktes Optionen einer
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