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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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bestimmten Art multipliziert, droht sie andererseits die Vielfalt qualitativ voneinander unterschiedener Lebensmöglichkeiten
     zu beschränken.« 101 Vermarktlichung, können wir auch in Bezug auf die Künste und die Kultur im weiteren Sinne sagen, multipliziert die Möglichkeiten
     derer, die zumindest potenziell ökonomische Verwertbarkeit versprechen, und löscht die schiere Erinnerung an all das, was
     ökonomisch keinen Profit verspricht.
    So ist das Kommerzielle eine Art spezifischer Äther, der alles einfärbt und nichts unberührt lässt. Die »hohe«, die »echte«,
     die »wahre« Kunst muss davon aber doch nicht notwendigerweise infiziert werden? Aber wo ist sie zu Hause, diese saubere Kunst,
     die sich die Finger nicht schmutzig macht? Vielleicht in der Schreibstube des Romanciers, der sperrige Zeilen in seine Schreibmaschine
     hackt und den zum Glück noch niemand kennt und zu TV-Talks einlädt, weil er an seinem ersten Roman arbeitet – und der deshalb
     noch nicht befallen ist vom Virus des »sich selbst zur Marke Machens«, des »Sich-Verkaufens« |99| und des »Den-Roman-Hypens«. Vielleicht im Tonstudio, in dem die spätmoderne Komponistin schrille Töne aneinandermontiert und
     Harmonien meidet, damit ein Stück entsteht, das niemand hören will – die einzige übrig gebliebene Strategie, sich »dem Markt«
     zu entziehen. Von solchen exzentrischen Bahnen abgesehen, werden die Künstlerstrategien heute immer mehr von Markenstrategien
     überformt.
    Kunst wird zum Werbeumfeld.
    Plakat an der Komischen Oper, Berlin
    Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Künstlerstrategien und Markenstrategien stehen natürlich seit jeher in einem symbiotischen
     Verhältnis, aber heute tun sie |100| das in einem solchen Grade, dass sie zunehmend ununterscheidbar werden. Gewiss, die Strategien der Kunstwelt, mit ihrem Hang
     zum Glamourösen und dem Starkult, lieferten zunächst eher der Warenwelt den Rohstoff: Erst hat das Marketing mehr auf die
     Kunst geschielt als vice versa. Künstler waren Stars, bevor noch Marken zu Stars wurden. Nicht die Kunst wurde versachlicht,
     die Waren wurden verpersönlicht, könnte man sagen – man hat sie mit Attributen versehen, die früher Stars vorbehalten waren.
     Doch die Verbindung von Ware, Business und Kunst geht heute mit einer »Glamourifizierung der Kunstszene« 102 einher – und damit mit der Durchsetzung von Strategien zum Verkauf von Waren in der Kunstwelt. Kunst ist heute dann erfolgreich,
     wenn sie wie Mode ist: »der letzte Schrei«. Während es »bislang eher die Mode war, die gleichsam auf die Kunst schielte«,
     schreibt Isabelle Graw in der Zeitschrift
Texte zur Kunst
, so »ist diesbezüglich eine Verschiebung eingetreten, so dass die eine Welt – die Kunstwelt – mehr und mehr die Züge der
     anderen – der Modewelt – anzunehmen scheint. … Hinzu kommt, dass kulturindustrielle Prinzipien – etwa das Prinzip ›Cele brity ‹ – mittlerweile auch in der Kunstwelt gelten. Aber auch Modemacher erklären ihre Entwürfe expliziter als zuvor zu Kunst,
     indem sie Auflagen begrenzen und ›Editionen‹ produzieren.« 103 Das Künstlerischste am Künstler ist nicht das Werk, sondern der Künstler selbst – alles, so Graw, »hängt vom öffentlichen
     Auftritt ab. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit ist, ob der Künstler ›glaubwürdig‹ erscheint, mithin eine ›Persönlichkeit‹
     darzustellen vermag, die gewissermaßen auf sein Werk abstrahlt.« Entscheidend ist für den Status des »Künstlers«, ob er den
     Künstler zu verkörpern vermag. Wie Brandingexperten versuchen Künstler, »ihre Arbeit als wiedererkennbare, verlässliche Marken
     zu etablieren«. Joe Cappo, |101| ein Veteran der amerikanischen Werbebranche und Autor des Buches »The Future of Advertising«, sagt: »Neu ist, dass Leute,
     die sich früher als Künstler begriffen hätten, jetzt Vermarkter sind.« 104
    Das Attribut »Celebrity«, zunehmend inflationär gebraucht, ist das Wort der Epoche. Celebrities sind berühmt fürs Berühmtsein,
     und dieses Berühmtsein koppelt sich, jedenfalls wenn der Celebritystatus einmal etabliert ist, von der realen Leistung des
     Künstlers ab. Mehr noch: Die Celebrity-Aura färbt das Kunstwerk ein: Es ist begehrt, weil es das Werk der Celebrity ist.
    In einer kuriosen Kernschmelze werden die Künstler zu Marken und gleich auch zu Marketingexperten ihrer selbst. Deshalb ist
     Marktgängigkeit, also Kommerzialisierung, heute keine

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