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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Gefährdung künstlerischer Glaubwürdigkeit mehr – im Gegenteil. »Markterfolg
     und künstlerische Glaubwürdigkeit bedingen einander.« 105 Besonders augenfällig ist das am Markt für bildende Kunst, der in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten geradezu explodierte.
     Für Bilder, Plastiken, Installationen werden astronomische Summen bezahlt, die früher undenkbar waren, Nachwuchskünstler werden
     von multinationalen Galeristen umworben und ihren lokalen Galeristen abgeworben, wie das bisher nur im Spitzenfußball üblich
     war, und Kunstmessen, einst Anlass zur Begegnung von ein paar Insidern, werden heute als regelrechte Festivals aufgezogen,
     mit Party ohne Ende, langbeinigen Starlets und großem Geld. Kaum ein großer Konzern, der heute nicht exquisite Kunstsammlungen
     anlegt. Die Investitionen dafür werden als zivilgesellschaftliches Engagement und sozial verantwortliches Unternehmertum in
     der Selbst-PR der Firmen angepriesen, was wiederum zu ihrem Markenimage beitragen soll. Eine eigene Art von Kunstagenten reist
     von Messe zu Messe, von den Unternehmen mit einem üppigen |102| Budget ausgestattet, und kauft, was das Zeug hält. Und weil das die Preise nach oben treibt, gelten Kunstwerke mittlerweile
     als derart exzellente Wertanlage, dass schon die Hedgefonds (im deutschsprachigen Raum mit Heuschrecken assoziiert) beginnen,
     statt Aktien Bilder zu kaufen.
    »Laissez-Faire Aesthetics« hat das der amerikanische Kunstkritiker Jed Perl unlängst in einer Cover-Story für das Magazin
The New Republic
genannt. Perls Klage: Man muss nicht mehr wissen, wer Marcel Duchamp war, bedeutende Kunstwerke erkennt man an den Menschen
     mit den lustigen Brillen, die um sie herumstehen, und an den Investoren, die diese umschwirren.
    Ist das Kommerzialisierung – oder womöglich nur die zeitgenössische Form von Mäzenatentum? Herrscht heute am Kunstmarkt also
     die reine Warenförmigkeit? Stimmt das wirklich?, fragt Isabelle Graw. Ihr Gegenargument: Damit dieser Markt überhaupt erst
     als ein Markt funktionieren kann, brauchen die Akteure auf diesem Markt doch immerhin einen gemeinsamen Wertehorizont, sie
     müssen Kunst grundsätzlich als »wertvoll« erachten, sie auch verklären, idealisieren. Insofern ist der Kunstmarkt eben doch
     etwas anderes als der Markt für Herrensocken. Die Kunst, so Graw, ist ein »Sonderfall der Ware«. Sie braucht immer einen Überschuss,
     irgendetwas, »das in keiner ökonomischen Logik aufgeht« – und am Ende dazu führt, dass das Kunstwerk einen hohen Preis erzielt.
     Man solle also, so darf man Graws Argumentation interpretieren, die Widerständigkeit und Immunität der Kunstwelt gegen den
     Kommerzvirus nicht unterschätzen.
    Ganz ähnlich das Urteil Marion von Ostens, einer Spezialistin der Kulturalisierung des Ökonomischen: »Selbst wenn das Selbstverständnis
     und die Selbstorganisation des |103| ›künstlerischen Subjekts‹ … mit den Phantasien von ArbeitsmarktentwicklerInnen und Creative-Industries-EntwicklerInnen zu
     korrespondieren scheint, bleibt der Erfolg dieser Verknüpfung doch … fragwürdig. Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen beinhalten
     Stärken, die nicht komplett kontrollierbar sind, weil sie ihre eigenen Bedingungen nicht nur mit erzeugen, sondern stets auch
     an deren Auflösung beteiligt sind.« Man solle nicht unterschlagen, so von Osten, dass die Mythologisierung des Künstlerideals
     auch heute nicht nur affirmativ instrumentalisiert wird, diese Mythen »können ebenfalls von sozialen Gruppen be- und genutzt
     werden, die ansonsten innerhalb existierender Machtstrukturen dem Verschweigen und Verstummen ausgesetzt wären«. Soll heißen:
     Die Sache ist nicht nur schlecht, sie hat auch ihre guten Seiten.
    Das ist bestimmt richtig. Mehr noch: Die Kommodifizierung macht vielen Künstlern das Leben leichter, dies soll nicht bestritten
     und auch nicht vergessen werden. Auch die Kulturalisierung macht unsere Lebenswelten »künstlerischer«. In den Bobo-Quartieren
     herrscht ein Klima lässiger Postmaterialität, alle tun ihr Ding, was genau, weiß man nicht immer – hier lässt sich’s leben.
     Und wenn die Künstlertugenden wie Kreativität, Phantasie, Spontaneität zu allgemeinen Idealen erfolgreicher Wirtschaftssubjekte
     stilisiert werden, macht das das Leben vieler Menschen bunter und freier. Darüber soll man nicht spotten, und schon gar nicht
     von der hohen Warte aus – nicht selten kommen schließlich die Marktkritiker selbst

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