Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Gefährdung künstlerischer Glaubwürdigkeit mehr – im Gegenteil. »Markterfolg
und künstlerische Glaubwürdigkeit bedingen einander.« 105 Besonders augenfällig ist das am Markt für bildende Kunst, der in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten geradezu explodierte.
Für Bilder, Plastiken, Installationen werden astronomische Summen bezahlt, die früher undenkbar waren, Nachwuchskünstler werden
von multinationalen Galeristen umworben und ihren lokalen Galeristen abgeworben, wie das bisher nur im Spitzenfußball üblich
war, und Kunstmessen, einst Anlass zur Begegnung von ein paar Insidern, werden heute als regelrechte Festivals aufgezogen,
mit Party ohne Ende, langbeinigen Starlets und großem Geld. Kaum ein großer Konzern, der heute nicht exquisite Kunstsammlungen
anlegt. Die Investitionen dafür werden als zivilgesellschaftliches Engagement und sozial verantwortliches Unternehmertum in
der Selbst-PR der Firmen angepriesen, was wiederum zu ihrem Markenimage beitragen soll. Eine eigene Art von Kunstagenten reist
von Messe zu Messe, von den Unternehmen mit einem üppigen |102| Budget ausgestattet, und kauft, was das Zeug hält. Und weil das die Preise nach oben treibt, gelten Kunstwerke mittlerweile
als derart exzellente Wertanlage, dass schon die Hedgefonds (im deutschsprachigen Raum mit Heuschrecken assoziiert) beginnen,
statt Aktien Bilder zu kaufen.
»Laissez-Faire Aesthetics« hat das der amerikanische Kunstkritiker Jed Perl unlängst in einer Cover-Story für das Magazin
The New Republic
genannt. Perls Klage: Man muss nicht mehr wissen, wer Marcel Duchamp war, bedeutende Kunstwerke erkennt man an den Menschen
mit den lustigen Brillen, die um sie herumstehen, und an den Investoren, die diese umschwirren.
Ist das Kommerzialisierung – oder womöglich nur die zeitgenössische Form von Mäzenatentum? Herrscht heute am Kunstmarkt also
die reine Warenförmigkeit? Stimmt das wirklich?, fragt Isabelle Graw. Ihr Gegenargument: Damit dieser Markt überhaupt erst
als ein Markt funktionieren kann, brauchen die Akteure auf diesem Markt doch immerhin einen gemeinsamen Wertehorizont, sie
müssen Kunst grundsätzlich als »wertvoll« erachten, sie auch verklären, idealisieren. Insofern ist der Kunstmarkt eben doch
etwas anderes als der Markt für Herrensocken. Die Kunst, so Graw, ist ein »Sonderfall der Ware«. Sie braucht immer einen Überschuss,
irgendetwas, »das in keiner ökonomischen Logik aufgeht« – und am Ende dazu führt, dass das Kunstwerk einen hohen Preis erzielt.
Man solle also, so darf man Graws Argumentation interpretieren, die Widerständigkeit und Immunität der Kunstwelt gegen den
Kommerzvirus nicht unterschätzen.
Ganz ähnlich das Urteil Marion von Ostens, einer Spezialistin der Kulturalisierung des Ökonomischen: »Selbst wenn das Selbstverständnis
und die Selbstorganisation des |103| ›künstlerischen Subjekts‹ … mit den Phantasien von ArbeitsmarktentwicklerInnen und Creative-Industries-EntwicklerInnen zu
korrespondieren scheint, bleibt der Erfolg dieser Verknüpfung doch … fragwürdig. Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen beinhalten
Stärken, die nicht komplett kontrollierbar sind, weil sie ihre eigenen Bedingungen nicht nur mit erzeugen, sondern stets auch
an deren Auflösung beteiligt sind.« Man solle nicht unterschlagen, so von Osten, dass die Mythologisierung des Künstlerideals
auch heute nicht nur affirmativ instrumentalisiert wird, diese Mythen »können ebenfalls von sozialen Gruppen be- und genutzt
werden, die ansonsten innerhalb existierender Machtstrukturen dem Verschweigen und Verstummen ausgesetzt wären«. Soll heißen:
Die Sache ist nicht nur schlecht, sie hat auch ihre guten Seiten.
Das ist bestimmt richtig. Mehr noch: Die Kommodifizierung macht vielen Künstlern das Leben leichter, dies soll nicht bestritten
und auch nicht vergessen werden. Auch die Kulturalisierung macht unsere Lebenswelten »künstlerischer«. In den Bobo-Quartieren
herrscht ein Klima lässiger Postmaterialität, alle tun ihr Ding, was genau, weiß man nicht immer – hier lässt sich’s leben.
Und wenn die Künstlertugenden wie Kreativität, Phantasie, Spontaneität zu allgemeinen Idealen erfolgreicher Wirtschaftssubjekte
stilisiert werden, macht das das Leben vieler Menschen bunter und freier. Darüber soll man nicht spotten, und schon gar nicht
von der hohen Warte aus – nicht selten kommen schließlich die Marktkritiker selbst
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