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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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immer. Ich könnte auf allen vieren rückwärts über die Bühne rutschen, und niemanden würde es kümmern, solange ich mit dem Aufwischlappen zugange wäre. Alle sind so fein herausgeputzt, dass sie nichts sehen, sondern höchstens nach ihrem Spiegelbild in schicken Klamotten Ausschau halten.
    Einmal hockte ich unten auf der Treppe zu den Rängen und versuchte, Kaugummi aus dem Teppich zu entfernen, fürchterliches Zeug, als ein Mann in voller Montur an mir vorbeigeht und zu mir sagt: »Sie singen ja!« Und ich sage: »Ach ja? Hab ich gar nicht gemerkt.« Und er sagt: »Ah! Sie sind Irin. Ist es nicht fabelhaft, wie die Iren bei der Arbeit immer singen?« Und ich sage: »Ja, nich’?«
    Und wissen Sie was, wenn er noch mal vorbeikommt, weiß ich ungefähr sechzehn Dinge, die ich ihm sagen könnte. Zum Beispiel: »Oh, das bin nicht ich, das ist eine Kassette von Maria Callas, die ich im Hintern stecken habe.« Oder: »Ansehen ist erlaubt.« Das könnte ich sagen: »Ansehen ist erlaubt.«
    Es ist mir erlaubt, Musik zu mögen. Mein Sohn Jimmy allerdings liebt sie. Er hat eine schöne Stimme, aber er hat
ja auch nie eine Zigarette angerührt. Er könnte sogar hier auftauchen, aber er läuft nicht gern seiner alten Mutter über den Weg, wenn sie im Schrank neben der Bar nach dem Kehrblech sucht.
    Ich mag Gefallen an der Oper finden, wissen Sie, meinem Sohn Jimmy aber gehört sie. Er hat all diese CDs in Schubern. Jimmy war sogar eine Weile schwul, dann war er’s wieder nicht, und ich habe zu ihm gesagt, ich komm da nicht mit. Und ich glaube nicht, dass es ihm um Sex der einen oder anderen Sorte ging, er wollte was lernen. Und das hat er. Jetzt hat er alles, bis hin zu der Limettenscheibe in seinem Gin-Tonic, und er gibt nie – nur sehr selten – etwas von sich preis.
    Ah, gib nur acht, was du dir wünschst.
    Geld habe ich nie gewollt – was ein Glück. Denn wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es vielleicht bekommen, und wäre das nicht ein entsetzliches Drama geworden, eine Gefährdung meiner Seele? Berühmt sein wollte ich auch nie. Ich wollte nur blödsinnige Sachen, zum Beispiel wissen, wie man sich zu einer Taufe angemessen anzieht, oder dass meine Mutter nicht so früh stirbt oder dass mir jemand im Haushalt behilflich ist.
    Und so wäre mein erster Wunsch vielleicht, dass meine Mutter noch am Leben wäre – allerdings in dem Alter, das sie hatte, bevor sie gestorben ist, nicht in dem Alter, das sie jetzt hätte, wenn sie nicht gestorben wäre, also ungefähr hundertundzwei. Im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und ausgestattet mit dem Körper – da haben wir’s wieder -, mit dem Körper einer Fünfzigjährigen. Einer gesunden Fünfzigjährigen. Einer gesunden fünfzigjährigen
Frau. Im Gegensatz zu einem Mann. Oder einem Pferd.
    »Ah, gib nur acht, was du dir wünschst.« Das hatte mir meine Mutter gesagt, als ich noch jung war und immer nur Séamas Molloy wollte. Als ich immer nur den Burschen mit dem weißesten Hemd in der Menge vor dem Tanzsaal wollte, an einem langen Sommerabend, der in die Nacht überging.
    Und wenn mir auf der Treppe der Leibhaftige erschiene, wie der Mann im Smoking – »Sind die Iren nicht fabelhaft?«. Er sah gut aus, daran erinnere ich mich -, wenn also der alte Voland mit Frack und weißer Krawatte zu mir träte, mich aufs Dach führte und spräche: »Schau hinaus über die Stadt London – das alles will ich dir geben«, würde ich sagen, dass ich diesen Stuss schon mal gehört habe. Und zwar von dem Jungen mit dem weißesten Hemd, einem Hemd, das ich in den nächsten sechs Jahren meines Lebens weiß zu halten versucht habe. Von meinem strahlenden Jüngling.
    Oder wenn er zu mir spräche: »Wirf dich hinab, und die Engel werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.« Aber was für eine Versuchung wäre das denn? Da gibt man sich alle Mühe, sich umzubringen, und stirbt nicht einmal? Das nenne ich mal Schiebung. Außerdem hört es sich für mich so an, als würde man sich verlieben. Was Jesus nie getan hat, wenn man mal darüber nachdenkt. Im Gegensatz zu mir, idiotischerweise – denn meine Mutter hatte natürlich recht: Er war ein schrecklicher Chaot, dieser Séamas Molloy.

    Die Aussicht von hier oben ist sehr schön – all die Lichter der Stadt London. Manchmal gehe ich hinauf, die letzte kleine Treppenflucht. Davon braucht niemand zu wissen.
    Wir benötigten den Teufel nicht, Séamas und ich: Wir glaubten, die Stadt auch so

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