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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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behandelten. Nie hatte ich mich so tief verwundet gefühlt. Der Mann hatte mir das Amt geraubt. Wollte er mir jetzt auch noch die Frau rauben?
    Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Im selben Augenblick standen Asher und Etna gleichzeitig auf.
    Ich habe diese Szene wohl tausendmal vor mir ablaufen lassen, und ich glaube, das gemeinsame Aufstehen erfolgte zunächst rein zufällig. Vielleicht wollte Etna zu Clara gehen; möglich, daß Asher nur seine Glieder strecken wollte. Wie in Zeitlupe wurden sie, beide mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen, von dem Schwung, mit dem sie sich erhoben hatten, vorwärtsgetragen, erst zwei, dann drei Schritte, so daß sie direkt unter dem weißen Leuchter, diesem Ungetüm der Extravaganz, zusammenstießen. Ihre Hände hoben sich – ihre rechte, seine linke – und umfaßten einander, flüchtig und leicht, vielleicht aus einem ähnlichen Impuls heraus, der Menschen, die zu gleicher Zeit das gleiche Wort aussprechen, veranlaßt, einander erheitert zuzulächeln.
    Das hätte ich vielleicht noch ertragen. Diese kurze Vereinigung der Hände hätte ich vielleicht ertragen und vergessen. Schließlich dauerte der ganze Zwischenfall nur ein, zwei Sekunden. Aber in diesen Sekunden gewahrte ich wie in einem Aufblitzen noch etwas anderes, das mir in all diesen Jahren präsent geblieben ist, dessen ich mich lebhafter entsinne als der Gesichter meiner Kinder. Es war der Ausdruck in Etnas Gesicht, er war – wie soll ich ihn beschreiben? Ich kann nur das Wort strahlend verwenden. Sie strahlte. Wie in einem Taumel des Glücks. Es war ein Ausdruck ekstatischer Freude, die scheinbar die Teilnahme des ganzen Körpers verlangte, genauso, als ob der Körper sich mit großer Geschwindigkeit vorwärtsbewegte. Nur einmal hatte ich diesen Ausdruck in Etnas Gesicht gesehen, an jenem Nachmittag im späten Winter vor vielen Jahren, als wir im Schlitten saßen und die Pferde außer Rand und Band dem Stall entgegenrasten. Sie hatte meine Hand ergriffen, und ich war wie erstarrt vor Seligkeit.
    Asher und Etna schwankten leicht. Der Moment löste sich in Gelächter auf. Clara beobachtete die Szene mit mißtrauischem Blick, ohne Erheiterung. Mein eigener Blick war wild vor Wut. Am liebsten hätte ich meine Tochter da herausgerissen.
    Am nächsten Morgen sandte ich Etna eine Nachricht. Ich würde Clara am späten Nachmittag abholen und mit ihr zusammen essen, schrieb ich. Sie würde bei Nicodemus und mir übernachten, und ich würde sie am folgenden Tag morgens zur Schule bringen. Etna möge Clara eine saubere Schuluniform und ihr Nachtzeug einpacken. Ich würde meine Tochter um fünf Uhr abholen. Ich würde mit dem Ford in der Auffahrt warten, ins Haus kommen würde ich nicht. Ich wäre ihr verbunden, wenn Sie so gut sein wolle, mir Clara herauszuschicken. Mit freundlichen Grüßen und so weiter.
    Clara war furchtsam und zornig zu gleichen Teilen, als sie zu mir in den Wagen kletterte – furchtsam wegen dieser Unterbrechung des gewohnten Alltags, zornig, weil sie irgend jemandem die Schuld an der Zerrüttung der Familie geben wollte. Ich machte keinen Versuch, mich zu verteidigen. Sie war ein Kind, zu jung, um etwas von Kompromissen und unerwiderter Leidenschaft zu wissen.
    Ich ließ den Wagen in der Wheelock Street stehen, und wir spazierten wie in früheren Tagen Arm in Arm zur College-Grünanlage. Wir unterhielten uns über die Schule und ihre Musikstunden und jetzt, da sie älter wurde, auch über Themen, die über ihren Alltag hinausgingen, wie zum Beispiel ihren Wunsch, den Yosemite Park zu besuchen, von dem sie von ihrer neuen Freundin Rosemary viel gehört hatte. Wir gingen weiter zum Hotel, um dort, wie ich ihr versprochen hatte, zu essen und zum Nachtisch jeder eine heiße Schokolade zu trinken. Allmählich taute sie auf und erinnerte sich ihrer Liebe zu ihrem Vater, und in manchen Momenten waren wir einfach ein Vater und seine Tochter, die zusammen im Hotel Thrupp speisten. Wer hätte uns angesehen, daß wir nicht mehr zusammen in der Holyoke Street lebten, daß wir bei der Heimkehr nicht von Etna erwartet würden, die gerade Nicky badete, daß das Leben nicht weitergehen würde wie zuvor?
    Ein hübscher Gedanke, aber unterschwellig beschäftigte mich etwas anderes.
    Dreimal ließ ich im Gespräch Phillip Ashers Namen fallen. (Professor Asher, sagte ich, für den Fall, daß er Clara so vorgestellt worden war.) Nachdem ich den Namen das drittemal erwähnt hatte und ihr Schweigen zu diesem Thema

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