Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
Meine Frau hielt mich nicht auf.
    Das Scheidungsverfahren entwickelte sich nach Belieben des Gerichts, das heißt, es kam kaum voran. Ich ging beinahe unter in juristischem Fachjargon und bedauerlicher Grammatik:
    Es wird behauptet,
    daß die Ehe der Antragstellerin ein Opfer war, die Folge ihres Zögerns, sich aus einem unüberlegten Verlöbnis zurückzuziehen, das einzugehen sie sich auf Grund mangelnder Voraussicht hatte verleiten lassen und an dem sie später aus falsch verstandenem Pflichtgefühl festhielt;
    daß sie nicht daran festgehalten geschweige denn die Ehe mit dem Antragsgegner geschlossen hätte, wenn ihr nicht versichert worden wäre, daß ihren Wünschen in den Punkten, die sie als für ihr Glück und ihr Wohlergehen entscheidend erachtete, stattgegeben würde und daß der Antragsgegner ihre Wünsche nicht als unzumutbar betrachtete.
    Ich schickte einen Anwalt nach Exeter, um ihn Nicodemus holen zu lassen. Er hieß Tucker und hatte strenge Anweisungen.
    »Das Mädchen läßt er Ihnen«, teilte Tucker Etna mit, die in Josip Keeps Vestibül stand. »Aber den Jungen will er zurückhaben. Wenn Sie nicht einwilligen, nimmt er Ihnen beide Kinder. Unter den gegebenen Umständen würde man sie ihm beinahe mit Sicherheit zusprechen.«
    »Was sind das für Umstände?« fragte Etna.
    »Die Gerichte sind der Auffassung, daß eine Mutter, die unmoralisch gehandelt hat, die Sitten eines Sohnes verdirbt.«
    »Nicht einer Tochter?«
    »Die Gerichte entfernen eine Tochter nur ungern aus der Obhut einer Mutter.«
    »Das ist doch absurd«, sagte Etna.
    »Trotzdem.«
    »Und welches ist die unmoralische Handlung?« fragte Etna.
    »Besitz einer geheimen Wohnung zu möglichen unmoralischen Zwecken«, antwortete Tucker in perfekter Amtssprache.
    Tucker blieb und wartete. Er würde nicht ohne den Jungen gehen.
    Nach Beratung mit ihrem Anwalt fügte Etna sich wohl oder übel.
    Etna mußte nach Thrupp zurückkehren. Ich hatte von Anfang an gewußt, daß sie das tun würde. Wenn unser Sohn bei mir lebte, würde sie in seiner Nähe sein wollen. Sie ließ sich in dem Häuschen nieder.
    Ich hatte den Jungen, und sie hatte Clara, die mit ihr zusammen in dem schmalen Bett im Mansardenzimmer mit den schrägen Wänden schlief. Clara besuchte wieder die höhere Schule für Mädchen in Thrupp, und Nicky ging wieder zur Grundschule. An den Wochenenden wurde Abigail zum fliegenden Boten, wenn sie Clara holte und später, wenn sie sie wieder zurückbrachte, gleich Nicky zu einem Sonntagsessen bei Etna mitnahm.
    Ich begann, Etna und Clara durch die Fenster des Häuschens zu beobachten – ein endloses Lichtspiel bescheidener Häuslichkeit. Ich tat es abends, wenn mein rundes Gesicht nicht hinter den Scheiben erkannt werden konnte. Ich übte mich in Verstohlenheit und erlangte in diesem Fach größere Fertigkeit als je in der Rhetorik.
    Nicky, in dessen Gesicht ich täglich nach Spuren seiner Vorfahren forschte und der jeden Abend nach seiner Mutter fragte, ließ ich zu Hause in seinem Bett zurück. Ich pflegte nach Drury zu fahren, wo ich eine Lichtung entdeckt hatte, die mir als Parkplatz für den schwarzen Ford diente. Die vierhundert Meter bis zum Häuschen legte ich zu Fuß zurück und postierte mich so, daß ich nicht vom Schein des weißen Leuchters erreicht wurde, dieser Extravaganz, die in dem primitiven Häuschen so deplaciert wirkte wie eine Großherzogin in einer Fischerkate. In seinem gesplitterten Licht pflegte ich Claras frische Haut zu betrachten, die hellen Augenbrauen und die lichtblauen Augen, die mich an die meiner Schwester erinnerten. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die etwas Durchsichtiges bekam, war Clara eine üppige Blüte niederländischer Schönheit.
    Etna, die liebende Mutter, bürstete ihrer Tochter das Haar, ohne etwas von dem Beobachter vor dem Fenster zu ahnen. Die Züge meiner Frau waren ruhig, aber bleich, und ich erkannte die Spannung der Haut über den hohen Wangenknochen, die Nervosität in den topasfarbenen Augen, die Sorgenfältchen an den Mundwinkeln.
    Stundenlang konnte ich in Nacht und Kälte stehen und Clara bei ihren Schularbeiten oder Etna beim Nähen zusehen. Ich sah, wie Etna am Spülbecken stand und das Geschirr spülte wie ein gewöhnliches Küchenmädchen. Es schien ihr nichts auszumachen, diese Hausarbeiten zu erledigen, von denen einige weiß Gott unangenehm waren – das Hinausbringen der Abfälle, das Waschen und Bügeln von Wäsche, die auf der Leine hinter dem Haus gefror, die Reinigung

Weitere Kostenlose Bücher