Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
plagte –, ob diese Furcht vor körperlicher Berührung vielleicht Zeugnis dafür war, daß sie vor mir keine Liebhaber gehabt hatte.
Ich gab ihre Hand frei, und sie versteckte sie augenblicklich in ihrem Schoß.
»Das war der wunderbarste Nachmittag meines Lebens«, sagte ich aufrichtig.
Sie hob den Blick. »Vielen Dank für das Essen.«
»Der Weg nach Hause wird fürchterlich werden«, sagte ich. »Der Sturm hat ja offenbar kaum nachgelassen.«
»Nein.« Sie sah zu einem der gewaltigen Fenster des Speisesaals hinaus.
»Sie könnten hier übernachten«, fuhr ich mutig fort. »Es gibt Gästezimmer. Und dann könnte ich Sie morgen vormittag zurückbringen. Wir könnten einen Boten zu Ihrem Onkel und Ihrer Tante schicken, damit sie sich keine Sorgen machen. Ein junger Bursche wird sich bei dem Schneegestöber leichter tun als wir.«
»Ich möchte niemanden meinetwegen in dieses Unwetter hinausjagen«, entgegnete sie. »Nein, ich muß gehen. Ich habe ja auch meine Sachen nicht bei mir.«
»Ja, natürlich«, sagte ich und stand wohl oder übel mit ihr auf.
Ein Bediensteter des College hatte unsere Mäntel und Schals am Kamin getrocknet. Ich drückte dem Mann ein Trinkgeld in die Hand und fragte nach einem Schlitten, worauf man uns einen holte. Während der Fahrt hielten Etna und ich die Decken wie ein Zelt über unsere Köpfe. Ich spürte ihren warmen Atem auf meinem Gesicht. Vor dem Haus ihres Onkels bat sie mich herein, aber mir taten der Bursche und die Pferde vor dem Schlitten leid, und ich erkannte jetzt, was mir zuvor entgangen war: In den gewaltigen Schneewehen konnte selbst ein Schlitten verlorengehen.
»Ich komme dann am Dienstag«, sagte ich an der Tür.
Sie nickte, schien jedoch zerstreut. Ich konnte sie nicht länger im Schneetreiben stehen lassen.
»Gehen Sie hinein«, sagte ich.
Sie nickte wieder und ging ins Haus. Einmal sah sie mich noch an, bevor sie die Tür schloß. Ich ging zum Schlitten zurück, wobei ich mir des Schnees, der über meine Stiefel hinaufreichte, plötzlich unangenehm bewußt wurde.
Am nächsten Tag bekam Etna Fieber, und ich gab mir die Schuld daran. Hätte ich sie hinreichend vor den Gefahren des Unwetters gewarnt – wie es ein verantwortungsvoller Mann getan hätte –, so wäre sie nicht krank geworden. (Mir kam allerdings der Gedanke, daß die unnatürliche Röte ihres Gesichts, die mir aufgefallen war, als ich sie abholte, vielleicht Vorbote eines beginnenden Fiebers war, aber lassen wir das.) Ich erfuhr davon erst am Dienstag, als ich zur gewohnten Stunde vorsprach und Mrs. Bliss mich aufklärte, worauf ich bei einer nicht enden wollenden Tasse Tee im Salon (in dem, ich muß es sagen, Mrs. Bliss aufzublühen schien wie eine seltene tropische Blume – oder brütete vielleicht auch sie ein Fieber aus?) ein unerträgliches Gespräch über mich ergehen lassen mußte. Ich dachte die ganze Zeit nur daran, daß Etna vielleicht keine drei Meter über meinem Kopf in ihrem Bett lag, und diese Vorstellung lähmte meine Zunge.
Sie war eine Woche lang krank, danach konnte sie, noch hustend und mit geröteter Nase, zu Stippvisiten in den Salon hinunterkommen. Ich brachte bei meinen Besuchen Konfekt und Treibhausblumen mit, einmal auch eine seltene Orchidee aus dem College-Gewächshaus, die der Biologieprofessor Everett Tucker mir geschenkt hatte. Und natürlich brachte ich Etna Bücher mit. Trotz der Geschenke waren unsere Gespräche in diesem Salon (wo Etna auf einer Chaiselongue ruhte und ich unter Weste und Anzug entsetzlich schwitzte) stets stockend und sprunghaft. Ob es eine Folge unseres erzwungenen Aufenthalts in diesem grauenvollen Raum war, im Kontrast zu dem lebhaften und anregenden Nachmittag im Speisesaal des College um so auffallender, konnte ich nicht sagen. Auf jeden Fall war ich erleichtert, als Etna feststellte, sie fühle sich wohl genug, um sich wieder ins Freie zu wagen.
In der Zeit, als ich um Etna warb, war ich großzügig mit Geschenken, die ich zum größten Teil bei Johnston & Herrick’s in Hanover kaufte. Ich erinnere mich an ein Paar Topasohrringe, die Etna besonders gefielen. (Habe ich schon erwähnt, wie genau Etna auf Kleidung und Accessoires achtete? In bescheidenem Maß natürlich, aber mit einer faszinierenden Mischung aus Raffinesse und Geschmack.) Ich schenkte ihr auch eine Mondsteinkette und erinnere mich noch heute, mit welcher Wonne ich den Verschluß in ihrem Nacken zusammenschob. War es eine falsche Vorstellung von mir, zu
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