Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
eingeredet, sie hätte Thrupp gegen ihren Willen verlassen, auch wenn sie es in ihrem Schreiben anders dargestellt hatte. Zwar war ich Josip Keep nie begegnet, aber ich stellte ihn mir als einen furchteinflößenden Mann vor, der es gewohnt war, daß man seinen Wünschen Folge leistete. Gewiß hatte Etna sich verpflichtet gefühlt, ihrer Schwester bei der Kindererziehung zu helfen. Ja, ganz zweifellos. Ich hatte sie ja mit eigenen Augen im Umgang mit ihrer Nichte beobachtet und ihre Gutmütigkeit und Langmut bewundert.
Doch all diese Überlegungen waren nichts als müßige Spekulation; ich war mir längst darüber im klaren, daß ich Etna niemals aufgeben könnte, und sollte es mein Leben gelten. Und es galt ja tatsächlich mein Leben! Ich konnte mir eine Zukunft ohne sie nicht vorstellen.
Es gab noch etwas, wozu ich mich hier bekennen muß: Ich konnte nicht ablassen von der Jagd, solange ich Etna Bliss nicht erkannt hatte. Ich meine das im biblischen Sinn. Ich hätte dies damals nicht ohne weiteres eingestanden, aber mich trieb ein unwiderstehliches Verlangen, Etna Bliss zu berühren und ihr beizuwohnen. Schon als ich sie am Abend des Hotelbrands zum erstenmal sah, war mir dieses Verlangen bewußt geworden, und es hatte sich im Verlauf der Tage und Wochen immer weiter gesteigert. Empfinden alle Männer so, wenn sie der Geliebten begegnen? Ich weiß es nicht, ich habe nie mit einem Mann oder einer Frau darüber gesprochen. Ich weiß nur, daß alles andere für mich ausgeschlossen war. Ich war überzeugt, daß ich mich, wenn ich Etna nicht eroberte, mein Leben lang in Sehnsucht verzehren würde – einer Sehnsucht, die keine andere Frau würde stillen können. (Und ich muß sagen, ich bin selbst heute nicht sicher, daß ich darin nicht recht hatte.)
In dieser Nacht, die ich in der Pension verbrachte, verfolgten mich Träume von Etna: wie sich bei ihrem Versuch zu fliegen ihre Röcke in den Ästen eines Baums verhedderten; wie ein Felsvorsprung, unter dem sie Schutz gesucht hatte, auf sie hinabstürzte; wie sie aus Noah Fitchs Büro auf und davon stob wie eine Möwe im Aufwind.
Am nächsten Morgen erkundigte ich mich nach dem Haus Josip Keeps und vernahm von meiner Zimmerwirtin mit Genugtuung, daß es noch immer allgemein als das »Bliss-Haus« bekannt war. So blieb es übrigens auch in den späteren Jahren; die Leute im Ort waren nicht bereit, den Eindringling anzuerkennen, sie zogen es vor, den angestammten Eigentümern des Hauses ein ehrendes Gedächtnis zu bewahren.
Es war nicht sehr weit zum Haus, etwa eine Meile, und ich ging das Stück zu Fuß. Der Tag war klar und kalt, aber nicht der prachtvolle Morgen beflügelte meine Schritte, sondern der Gedanke, Etna wiederzusehen. Wenn es mir heute nicht gelänge, könnte ich sie für mein Leben verlieren.
Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß die Mauern des Hauses frisch gestrichen und seine Fenster neu verglast waren. Ich trat durch ein Tor und näherte mich einer großen getäfelten Tür. Ein Dienstbote öffnete mir. Ich trug mein Anliegen vor. Er bat mich, im Salon zu warten.
Trotz meiner Nervosität fiel mir auf, daß im Haus große Unordnung herrschte. Hinter der offenen Tür bemerkte ich Leitern und mit Tüchern verhüllte Möbel, Spachtel und Streichbürsten, die auf Zeitungspapier ausgelegt waren. Terpentingeruch hing in der Luft. Offensichtlich ließ Josip Keep, der als größter Gläubiger des Bliss-Nachlasses das Haus übernommen hatte, jetzt die Renovierungsarbeiten durchführen, die Mrs. Bliss sich in ihren späten Jahren nicht mehr hatte leisten können.
Als ich Schritte auf der Treppe vernahm, drehte ich mich herum.
»Professor Van Tassel, Sie überraschen mich«, sagte Etna.
Sie trug ein außergewöhnliches Kleid in Marineblau und Creme, das die Farbe ihres Haars wunderbar zur Geltung brachte und ihm Nuancen entlockte, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Der Ausdruck ihrer Augen über den ausgeprägten Wangenknochen schien mir wachsam zu sein. Ich hatte sie offensichtlich beim Frisieren gestört, denn aus dem halb aufgedrehten Chignon in ihrem Nacken hingen lockige Strähnen herab. Der Anblick bewegte mich heftig; ich hatte sie noch nie mit gelöstem Haar gesehen.
»Ich konnte Ihnen nicht fernbleiben«, sagte ich sofort. »Ich muß Sie sprechen.«
Sie schien nicht direkt beunruhigt über meinen Besuch, aber erfreut war sie auch nicht. Es war schwer für mich einzuschätzen, wie sie mein Erscheinen aufnahm.
»Wir müssen gleich zur
Weitere Kostenlose Bücher