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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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für meine Überzeugung warb. Zu sagen, daß ich dazu nicht in der rechten Verfassung sei, wäre eine krasse Beschönigung gewesen. Ich war ja kaum imstande, mich auf den Beinen zu halten, und völlig unfähig, Nahrung in irgendeiner Form zu mir zu nehmen, so sehr stand ich noch unter Schock wegen der grausamen Nachricht von Etnas plötzlicher Abreise.
    Noch schlimmer war, daß ich überhaupt nicht klar denken konnte. Ich hatte es bis zum letzten Moment hinausgeschoben, mir über meine Argumentation Gedanken zu machen, eine Lässigkeit, die mir eigentlich nicht entsprach, aber ich hatte, wie schon erwähnt, in jener Zeit einen gewissen Schlendrian in meinem sonst so disziplinierten Dasein einreißen lassen. So kam es, daß ich mich vor die qualvolle Notwendigkeit gestellt sah, wenige Stunden nach dem Empfang von Etnas Brief einen gewichtigen Vortrag zu entwerfen. Daß ich überhaupt etwas zustande brachte, zeugt von meiner erheblichen Willenskraft; ich hatte, wie ich mich erinnere, größte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Hinzu kam, daß ich immer wieder in Zustände heftigen Schmerzes und tiefster Verzweiflung verfiel. Nur indem ich mich den größten Teil der Nacht wach hielt, gelang es mir, etwas zu Papier zu bringen, was wenigstens Ähnlichkeit mit einer Argumentation besaß.
    Am folgenden Morgen versammelten sich Dozenten und Verwaltungsmitglieder des College in der Anatomie. Hallock, ich und der Präsident des College, Isaac Phillips, hatten auf dem Podium Platz genommen. Die Kollegen hatten sich in stillschweigender Übereinkunft ihrer Überzeugung gemäß gesetzt – zwei Drittel auf der einen Seite des Saals, das restliche Drittel auf der anderen. Es sah ein wenig aus wie im Parlament.
    Ich hatte, wie gesagt, in der Nacht zuvor wenig geschlafen und gab, wie mir wohl bewußt war, weiß Gott kein schlagendes Argument für den fortdauernden Ausschluß einer Fakultät für Leibeserziehung am College ab. Ich sah blaß aus, fast eingefallen, und obwohl ich mir die größte Mühe gab, mich von meiner besten Seite zu zeigen, fühlte ich mich innerlich uralt.
    Hallock hingegen strotzte förmlich vor Gesundheit und schien der Debatte mit Vorfreude entgegenzusehen. Man konnte nicht umhin, seine kerzengerade Haltung wahrzunehmen und den muskelbepackten Torso, der seinen Gehrock zu sprengen drohte. Es hieß, er sei zu seiner Zeit ein hervorragender Werfer gewesen, und er trainierte im Frühjahr die junge und bisher selten siegreiche Werfermannschaft von Thrupp.
    Nach einer Einführung durch Präsident Phillips ergriff Hallock das Wort. Er begann seinen Vortrag damit, daß er eine beeindruckende Zahl von Fakten über den schlechten Gesundheitszustand der Studenten am College präsentierte. Natürlich mußte ich zunächst Interesse heucheln, doch mit dem Fortgang von Hallocks Argumentation wurde ich immer ungehaltener. Er vertrat die Ansicht, daß ein natürlicher Zusammenhang zwischen schlechter Gesundheit und intellektueller Mittelmäßigkeit bestehe. Er besaß die Dreistigkeit, sich zum Vergleich auf das griechische Ideal der Palästra zu berufen, als er die körperlichen Merkmale des typischen Thrupp-Studenten skizzierte; nämlich »partielle Deformierung, träge Bewegungen« (ich gestehe, hier mußte ich an Ferald denken), »hängende Schultern, gespensterbleiche Gesichter, körperliche Degeneration«, alles angeblich Folge der Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen des Körpers. Er wies auf Fälle von Krankheit und Schwäche unter den Studenten hin, sogar auf Beispiele vorzeitigen Todes. (Meiner Meinung nach ging das etwas zu weit.) Wenn jeder Student jeden Tag seinen Körper übte, so würde das sein Leben bereichern und sein Wohlbefinden steigern, behauptete Hallock. Und fragte dann die versammelten Kollegen, ob es nicht für das College an der Zeit sei, eine Sporthalle zu erbauen.
    Ich schoß in die Höhe, aber es dauerte einige Augenblicke, bis ich gegen den Beifallssturm aus der Galerie ansprechen konnte. Als Gelände für diese »Sporthalle«, teilte ich meinen Zuhörern mit, sei ausgerechnet der allseits geliebte Strout Park des College vorgesehen, ein zwischen den Hügeln gelegenes Areal von außergewöhnlicher Schönheit. Wolle man ein so kostbares Erholungsgebiet allen Ernstes einem Unternehmen opfern, das am besten im Privaten und ganz sicher nicht unter der Schirmherrschaft des College betrieben werde? Dieses Unternehmen dann auch noch mit den geheiligten Privilegien etwa der Fakultät

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