Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
für Literatur und Rhetorik auszustatten, das sei schlicht obszön. Dünnes Gelächter quittierte meine Worte, aber ich ignorierte es, obwohl ich fürchtete, in diesem Kampf, genau wie in meinem ganz privaten, auf verlorenem Posten zu stehen.
Dennoch ließ ich mich nicht beirren. Sei es denn tatsächlich Aufgabe des College, fragte ich, die Leibeserziehung des Mannes zu übernehmen? Sei dies nicht eher eine Aufgabe für das Militär, das auf eine gute körperliche Verfassung seiner Leute angewiesen sei? Oder für den Arzt, dem es obliege, die Gesundheit des einzelnen zu erhalten? Glaube man denn am College allen Ernstes, man könne Gesundheit zum Pflichtfach machen und nach erfolgreichem Studienabschluß einen akademischen Grad gewähren? Sollten die ohnehin knappen finanziellen Mittel des College für eine Einrichtung verschwendet werden, in der junge Männer mit Bällen herumspringen konnten? Wäre man nicht besser beraten, sie der Bibliothek zugute kommen zu lassen, die dringend Bücher brauchte, oder für den Bau eines Observatoriums zu verwenden, das dazu beitragen würde, unsere Kenntnisse des Himmels zu mehren.
»Selbstverständlich hat der Mensch ein Recht darauf, sich für seine körperliche Gesundheit einzusetzen«, sagte ich und dämpfte aus rhetorischen Gründen ein wenig den Ton. »Selbstverständlich kann sich jeder, dem das Ballspielen Freude macht, Gleichgesinnte suchen, mit denen zusammen er diesen Sport in der Freizeit betreiben kann. Das ist das Wesen der Erholung , per definitionem eine Ergänzung, aber nicht Sinn der geistigen Erziehung.«
»Hört, hört«, rief jemand auf meiner Seite laut.
»Unsinn!« donnerte jemand auf der anderen Seite.
Präsident Phillips mußte die Versammelten zur Ordnung rufen. William Bliss saß rechts von mir (unter den Sporthallenbefürwortern), und ich wagte nicht, ihn anzusehen, weil ich fürchtete, dann völlig die Fassung zu verlieren.
»Aber derartige Aktivitäten zur Pflicht zu machen«, rief ich, »entbehrt jeder Vernunft. Man kann körperliche Gesundheit so wenig vorschreiben wie gute Zähne oder eine gute Kinderstube. Mit der Verfolgung dieses Plans läuft das College Gefahr, sich auf ein Terrain zu begeben, in dem es nichts zu suchen hat, und riskiert ferner, sich zum allgemeinen Gespött zu machen. Bilden wir uns wirklich ein, daß vernünftige Eltern ihre Kinder zu uns schicken werden? Ob sie für ihre einhundertfünfundfünfzig Dollar im Jahr nicht mehr von uns erwarten als dieses Versprechen, die Körper ihrer Söhne zu stählen?«
Die Zwischenrufe hatten eine derartige Lautstärke erreicht, daß ich meine Stimme heben mußte, um den Lärm zu übertönen.
»Was für einen Nutzen soll ein akademischer Abschluß in Leibeserziehung haben?« fragte ich, beinahe schreiend. »Laufen wir nicht Gefahr, Studenten ins Leben zu entlassen, deren Kenntnisse und Fähigkeiten einzig dem Militär nützlich sind? Die Aufgabe einer Universität …«, rief ich und brach ab.
»Die Aufgabe einer Universität …«, versuchte ich es noch einmal.
Es gelang mir nicht, den Satz zu vollenden. Ein seltsames und unangenehmes Phänomen hatte von meinen Augen Besitz ergriffen: Das Publikum vor mir war plötzlich in hundert, nein, in tausend leuchtende bewegte Punkte zerfallen.
»Die Aufgabe einer Universität …«, begann ich von neuem, aber ich konnte mich nicht erinnern, wie der Satz hätte enden sollen. Mein Mund öffnete und schloß sich, und ich bin sicher, ich krümmte mich, innerlich jedenfalls krümmte ich mich unter außergewöhnlichem Schmerz. Mir war schwindlig, und ich hielt mich am Rednerpult fest. Im selben Moment überkam mich ein heftiges Unwohlsein, das sich auf eine Weise äußerte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Nach einer Weile spürte ich eine Hand auf meinem Arm und blickte, als ich den Kopf hob, in das Gesicht Arthur Hallocks, der sich als Arzt bemüßigt fühlte (und es politisch klug fand), sich um mich zu kümmern. Ich schüttelte seine Hand ab, von seiner Aufmerksamkeit gedemütigt. »Gehen Sie«, sagte ich, bevor ich ohnmächtig zu Boden stürzte.
Ich erwachte Augenblicke später auf dem Podium des Anatomiesaals. Ich hörte Hallock zu Phillips sagen, er glaube, ich hätte einen Anfall erlitten, und wollte sofort aufs energischste gegen diese Fehldiagnose protestieren, aber ich konnte nicht; ich konnte in diesem Moment nicht sprechen. Verwirrt und beschämt, wie ich war, wurde ich zunächst in eine sitzende Position
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