Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Maryland heraufgekommen war, hatte nicht nur eine Menge Fragen an uns beide, sondern auch viel zu erzählen. Wir waren nur Halbgeschwister, da sie die Tochter der zweiten Frau meines Vaters war, aber die Ähnlichkeit zwischen uns war unübersehbar. Unglücklicherweise ist das körperliche Vermächtnis unserer niederländischen Vorfahren einer feinen Ausformung von Gliedmaßen und Gesichtszügen nicht gerade förderlich, und Meritable hatte sehr unter dieser Tatsache zu leiden. Sie war eine grobknochige Frau mit breitem Gesicht und wulstigen Lippen ähnlich den meinen. Sie neigte zur Fülle und mußte mit ihren dicken Beinen schnelle Trippelschritte machen, um mit Etna und mir mithalten zu können. Ihre Fragen klangen darum alle etwas atemlos. Wo wir die erste Nacht unserer Flitterwochen verbringen würden. Ob wir einen Wagen gemietet hätten oder selbst fahren würden. Ob ich mir überlegt hätte, die Roycroft-Eßzimmergarnitur aus Eiche zu kaufen, die sie in der Zeitung angeboten gesehen hatte. Ob auch der Präsident des College, den sie doch unbedingt kennenlernen wollte, zum Frühstück kommen würde.
Zwischen diese Fragen streute meine Schwester (fruchtbare Tochter eines fruchtbaren Vaters) immer wieder Kurznachrichten über ihre sieben Kinder ein. Peter komme im Herbst ins Internat, Quincy habe sich leider das Bein gebrochen. Meritable schloß die Augen und sandte ein kurzes Gebet gen Himmel, wie sie das gern tat, wenn sie in Zusammenhang mit ihren Kindern von irgendeinem Mißgeschick sprach (sie hatte Todesangst davor, einen Sohn oder eine Tochter durch Unfall oder Krankheit zu verlieren); und ich kann nur sagen, daß diese Stoßgebete offensichtlich erhört wurden, da aus den sieben Kindern von 1900 in der Folgezeit elf wurden, die heute alle gesund und munter sind – eine unwahrscheinliche, aber erfreuliche Statistik.
»Sie gefällt mir sehr gut«, sagte Meritable, als wir das Haus erreicht hatten und allein im Vestibül standen. Etna war nach oben gegangen, um sich für das Frühstück präsentabel zu machen, obwohl ich sie bereits mehr als präsentabel fand. Ich mochte sie nicht von meiner Seite lassen und verlangte schon nach ihrer Rückkehr.
Meritable legte mir die Hand auf den Arm. »Sie spielt kein Theater, und das bewundere ich«, sagte meine Halbschwester, »auch wenn solche Schweigsamkeit bei einer Frau manchmal eine Qual sein kann.«
»Ich glaube, Etna ist heute einfach etwas scheu«, sagte ich.
»Natürlich.« Meritable glättete ihre voluminösen Röcke und klopfte einen verkrusteten Schmutzklumpen von ihrem Stiefel. (Einem Stiefel, der beinahe so groß war wie meiner.) Dann sagte sie, als wäre das Erklärung genug: »Es ist ihr Hochzeitstag.«
»Ich kann mein Glück kaum fassen.«
»Sie ist groß.«
»Ich würde eher sagen, beeindruckend.«
»Ja. Und nicht zu jung, wie ich mit Befriedigung sehe. Aber wenn ihr Kinder wollt, müßt ihr das unverzüglich in Angriff nehmen. Ihr dürft keine Zeit verlieren.«
Ich schwieg.
»Nun, ihr werdet sicher gleich heute nacht den Anfang machen«, sagte sie schalkhaft, und es kann sein, daß sie mir sogar zuzwinkerte. »Ich hoffe, ihr habt keine weite Reise.«
»Keine allzu weite.«
»Ein Kind, in der Hochzeitsnacht gezeugt, wird klug und mildtätig«, erklärte Meritable mit der Sicherheit der Frau vom Land.
»Ich gelobe, daß ich mein Bestes tun werde«, sagte ich, und sie lachte – laut und rauh, an der Grenze des guten Geschmacks.
»Nicholas, manchmal bist du wirklich unglaublich gestelzt.«
Vielleicht war mir dieses Gerede über Intimitäten peinlich, vielleicht fühlte ich mich auch verloren ohne meine Frau, jedenfalls entschuldigte ich mich an dieser Stelle und stieg die Treppe hinauf, um Etna zu überraschen und mir außer Sichtweite von Familie und Gästen ein paar schnelle Küsse von ihr zu stehlen.
Ich fand sie im Schlafzimmer ihrer Tante. Reglos bis in die Fingerspitzen stand sie vor dem Spiegel. Eine andere Frau hätte vielleicht mit flatternden Fingern an sich herumgezupft, um imaginäre Mängel zu beseitigen und ihre Reize besser zur Geltung bringen – hätte sich beispielsweise in die Wangen gekniffen oder das Haar gerichtet –, Etna jedoch stand absolut still. Ihre Zwiesprache mit dem eigenen Bild war so intensiv, daß sie meine Anwesenheit zunächst nicht bemerkte. Aber ich bin sicher, daß nicht Eitelkeit sie dem heimlichen Eindringling gegenüber blind machte; nein, es war etwas anderes, etwas zutiefst Beklemmendes.
Die
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