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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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blitzen, sich vom dunklen Holz abhebend, Staubkörnchen auf.
    Kaffeeduft reizt die Sinne.
    Das alles ist mir so deutlich im Gedächtnis, als wäre ich eben durch die Tür getreten. Doch wenn ich auf die Jahre vor dieser Erinnerung zurückblicke, ist es, als wären die Tage verweht wie die Seiten eines Buchs, wenn der Wind sie erfaßt und so schnell durchblättert, daß es unmöglich ist, mehr als ein Wort oder eine Wendung zu erhaschen. Was für Worte wurden gesprochen? frage ich mich jetzt, über das leere Blatt meines Hefts gebeugt. Was für Blicke wurden getauscht?
    Ich habe eine gefühlsmäßige Erinnerung daran, wie meine Ehe war – mehr Erahntes als Ausgesprochenes –, aber an präzise Fakten kann ich mich nicht erinnern. Gelegentlich tauchen aus dem Zusammenhang gelöste Szenen auf, im Äther der verlorenen Zeit schwebend. Ich sehe Nicodemus als Säugling an Etnas Brust, die Augen so runzlig wie die eines alten Mannes, das Haar verklebt von Blut und Fruchtwasser. Ich erinnere mich an ein entzückendes Kleidchen meiner Tochter Clara, es hatte einen steifen roten Samtrock, der wie Papier raschelte, wenn sie sich bewegte. Ich erinnere mich an den Tag, an dem Nicky seine ersten Schritte machte: Wild fuchtelnd watschelte er los, kippte vornüber und fiel mir in die Arme. Und die größeren Zusammenhänge unseres gemeinsamen Lebens stehen mir natürlich klar vor Augen (ich will nicht den Eindruck eines halb dementen alten Narren erwecken); aber aus der Perspektive des Vierundsechzigjährigen verschmelzen eben die vielen Einzelheiten zu einem Leben, das zu gleichen Teilen aus täglichem Glück und nächtlichem Kummer bestand.
    Das tägliche Glück ist leicht erklärt.
    Nach der Rückkehr aus den Flitterwochen richtete Etna sich in Vorbereitung auf die Mutterschaft häuslich ein, und die Geburt unseres ersten Kindes ließ auch nicht lange auf sich warten. Es zeigte sich allerdings mit der Zeit, daß ich längst nicht so zeugungsfreudig war wie mein Vater. Wir bekamen nur zwei Kinder, acht Jahre auseinander; Etna hatte zu ihrem großen Kummer zwei Fehlgeburten.
    Sie war, wie ich vorausgesehen hatte, eine wundervolle Mutter, und so hatten wir viel Freude an unseren beiden Kindern. Etna war eine glänzende Lehrerin und spielte mit einer Hingabe mit ihnen, wie man sie längst nicht bei allen Müttern antrifft (ich jedenfalls hatte bei meinen Müttern nichts dergleichen erlebt). Es konnte vorkommen, daß ich sie mit untergeschlagenen Röcken auf dem Boden hockend im Kinderzimmer vorfand, wo sie Nicky zu seinem Entzücken mit einem kleinen Marionettenspiel unterhielt. Oder ich sah sie und Clara im Garten, wo sie beide, rank und schlank in ihren Frühlingskleidern, wie die Schuljungen herumtobten. Etna besaß eine kräftige Konstitution und liebte es, sich im Freien aufzuhalten, und das machte sie natürlich zur idealen Spielgefährtin für die Kinder.
    Ich war froh darüber (und störte mich nicht im geringsten an ihrem diesbezüglichen Mangel an Weiblichkeit), da ich selbst, wie der Leser nicht überrascht sein wird zu hören, für Sport und Spiel wenig übrig hatte. Etna bestand darauf, daß sowohl Nicky als auch Clara das Tennis- und das Krocketspiel erlernten, und wir ließen zu diesem Zweck diverse Rasenplätze mit und ohne Netz auf unserem Grundstück anlegen. Etna sah immer reizend aus im Tennisdreß, sie war eine strenge, aber gleichzeitig ermutigende Lehrerin. Mit der Zeit verstand ich, daß diese Spiele mit Clara und Nicodemus für meine Frau eine Möglichkeit waren, eine innere Ruhelosigkeit auszugleichen, die sich flüchtig schon in ihrem Gesicht gespiegelt hatte, als sie noch im Haus ihres Onkels lebte; die ich, könnte man sagen, schamlos ausgenutzt hatte.
    Manchmal steigerte sich diese Ruhelosigkeit zu etwas noch Drängenderem; dann trieb es Etna fort. Urlaubsreisen waren ihr daher eine Wonne. Jedes Jahr fuhren wir mit Clara und Nicodemus zur Sommerfrische in ein kleines Fischerdorf an der Küste New Hampshires. Wir pflegten dort für etwa einen Monat ein Häuschen zu mieten, oder wir wohnten in einem Hotel mit dem Namen The Highland . In meiner Erinnerung an diese Sommerferien haben wir ständig Sand in den Schuhen, und die Kinder haben einen leichten Sonnenbrand. Etna trägt ihren leinenen Staubmantel, und das schwarze Band ihres Strohhuts flattert im Ostwind. Sie steht im Sand und blickt aufs Meer hinaus, oder sie wandert den Strand entlang. Oder sie watet in ihrem wollenen Badekostüm im Wasser, das

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