Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Haar unter der turbanartigen Badekappe, die langen Beine und Arme verlockend weiß und bloß.
Sooft ich konnte, ging ich mit ihr ans Wasser hinunter oder schloß mich ihren Wanderungen an, denn auch ich war froh, »entkommen« zu sein. Thrupp, die Erfahrung hatte ich längst gemacht, konnte allzu beengend sein. Ich war als Dozent am College geblieben und hatte den Hitchcock-Lehrstuhl für Englische Literatur übernommen, als vier Jahre zuvor Noah Fitch zum Dekan des College berufen worden war. (Das Wort Rhetorik war sehr zu meinem Bedauern und vor meiner Zeit auf dem Hitchcock-Lehrstuhl aus dem Titel gestrichen worden. Es gefalle den Studenten nicht, hieß es. Ich fand solche Anbiederei natürlich unerträglich, aber Fitch hatte mit Erfolg dagegengehalten, man könne das Fach ja weiterhin unterrichten, im stillen sozusagen, aber wenn die Immatrikulationszahlen nicht stiegen, werde es bald nicht mehr viel zu unterrichten geben. Jeder Fachrichtung wurde aufgetragen, ihre Curricula zu »verbessern« und attraktiver zu gestalten. Prinzipienlos, sagte ich.) Der Posten war wie für mich geschaffen, ich war ein guter Verwalter und führte einige Neuerungen in der Fakultät ein, zum Beispiel strengere Voraussetzungen zum Erwerb eines akademischen Grads in Englischer Literatur sowie den Kellogg-Preis für hervorragende Aufsätze.
Wenn wir im September vom Meer nach Hause kamen, pflegte sich Etna wieder ganz der Erziehung unserer Kinder zu widmen. Solange sie noch nicht zur Schule gingen, brachte sie selbst ihnen die Grundlagen des Rechnens und des Lesens bei; später half sie ihnen nachmittags bei den Hausaufgaben und der Vorbereitung auf den Unterricht.
Seit einigen Jahren leistete sie außerdem wohltätige Arbeit in einem sozialen Wohnheim in einem Nachbarort. Das Baker-Haus in der Norfolk Street in Worthington war eine Einrichtung, die Armen und Kranken Obdach bot. Wir hatten Mary, unsere Köchin, und Abigail, das Mädchen, und da unser Haus längst perfekt ausgestattet war (Etna hatte bei mir eine Einrichtungswut entfacht, die ich mir nie zugetraut hätte), konnte Etna es sich leisten, dem Heim mehrere Stunden in der Woche ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Sie hatte im Jahr zuvor sogar eigens dafür das Autofahren gelernt. Ich hatte ihr ein Cadillac Landaulet-Coupé gekauft, eines der ersten Autos mit einem elektrischen Starter, so daß eine Frau es bequem fahren konnte. Es war ein netter kleiner Wagen, ein kastenförmiges grünes Gefährt mit einer goldenen Zierleiste.
Etna war eine von nur vier Frauen in Thrupp, die Auto fahren konnten, und ich muß sagen, sie sah ausgesprochen schneidig aus, wie sie da mit ihrem kleidsamen Autohut hinter dem Steuer saß. Manchmal sah ich sie am Collegekarree vorbeisausen, wenn ich es gerade auf dem Weg zu einem meiner Seminare überquerte. Ihr Schal flatterte im Wind, eine Staubwolke folgte ihr, und ich dachte dann zufrieden: Das ist meine Frau. Das ist die Frau von Nicholas Van Tassel.
So also sahen die Tage unseres Ehelebens aus. Aber hinter dieser Geschichte von Glück und Zufriedenheit verbirgt sich eine andere – die eines allnächtlichen Kampfes, den ich nicht gewinnen konnte.
Ich versuche, es zu verstehen. Hätte ich vielleicht irgend etwas anders machen können? Wurde ich dafür bestraft, daß ich mir mehr genommen hatte, als mir zustand? Ich kann es nicht sagen. Ich kenne keine Art der Beziehung, die so schwierig und komplex ist wie eine Ehe. Die Auseinandersetzung selbst noch mit dem leidigsten Studenten oder dem abstrusesten Aufsatz ist nichts im Vergleich zu der Herausforderung, mit den unsicheren Arrangements umzugehen, auf die wir uns in einer Ehe einlassen.
Das heißt: Obwohl Etna eine wunderbare Mutter war und wir unser Glück in unseren Kindern fanden, wurde die Beziehung zwischen uns, so herzlich sie bei Tag auch war, mit dem Herannahen des Abends unweigerlich gespannt: Schweigen verdrängte das Gespräch, die Blicke verrieten, daß man auf der Hut war, Ablenkung wurde gesucht und gern angenommen. Wir hatten die Gewohnheit, die Abende gemeinsam im Wohnzimmer zu verbringen, es war wie eine Strafe, die zu mildern keiner von uns beiden willens oder fähig war. Ich pflegte mich in Vorbereitung auf ein Seminar oder eine Vorlesung mit einer Lektüre zu beschäftigen, während Etna über irgendeiner Handarbeit saß, und es war so ruhig, so still, daß ich über die Breite des Orientteppichs hinweg meine Frau schlucken hören konnte. Wenn sie sich gefangen
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