Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Liebe erwidert werden, wollte man wahre Größe erlangen? Etna hatte mir nie von Liebe gesprochen, und nach den zwei früheren (peinigenden) Episoden scheute ich mich, sie zu drängen. Sie mochte mich mehr als zu Beginn unserer Ehe – dessen war ich mir ganz sicher –, aber liebte sie mich? Es schmerzt mich – selbst heute noch, nach so langen Jahren, nach allem, was geschehen ist –, hier sagen zu müssen, daß sie mich nicht liebte. Nicht so wie ich sie. Das war ja unsere Vereinbarung gewesen: Sie hatte eingewilligt, meine Frau zu werden, um dafür Mutter und Herrin ihres eigenen Hauses sein zu können und, in jüngerer Zeit, in einem Auto herumfahren und mit ihm regelmäßig einen Ort aufsuchen zu können, wo sie bei wohltätiger Arbeit eine gewisse Erfüllung fand.
Während ich die Studenten beobachtete, die das Grün kreuzten – diese herbstlich frische geometrische Fläche –, erfüllte mich eine Zeitlang eine Trauer, die zu dem herrlichen Tag nicht paßte. Dann aber rief ich mir ins Gedächtnis, daß ich ja Etna Bliss hatte, und sie war meine Frau. Waren angesichts dieser Wahrheit nicht all diese Fragen belanglos? Ich schüttelte den Anflug von Melancholie ab und begab mich ins Gebäude.
Ich hörte die Stimmen schon, bevor ich um die Ecke bog. Feralds selbstgefällig lässige Töne waren so unverwechselbar wie Moxons fragend hochgeschraubte Stimme (die Stimme der Aufrichtigkeit selbst), nur die dritte Stimme, mit einem englischen Akzent, der sich im Lauf der Jahre vielleicht verwischt hatte, kannte ich nicht. Ich dachte daran, unbemerkt in einen Seminarraum zu verschwinden, da jedes Zusammentreffen mit Ferald mir zuwider war, aber es war schon zu spät. Ja, hätte ich mich nicht an die Wand gedrückt, so hätte es vielleicht sogar einen Zusammenstoß gegeben.
»Van Tassel«, sagte Ferald, und selbst in dieser kurzen Begrüßung schwang ein ganzes Bündel an Untertönen – Herablassung, feine Belustigung und natürlich Geringschätzung. »Ich möchte Sie mit Phillip Asher bekannt machen, Professor an der Universität Yale.«
Asher war einen Kopf größer als ich und schlanker. Er trug einen grauen Kammgarnanzug, dessen Farbe zu seinen Augen paßte (vielleicht war es aber auch umgekehrt, und die Augen hatten sich dem Farbton des Stoffs angepaßt). Das leichte Lächeln, mit dem er mich ansah, enthielt im Gegensatz zu dem Feralds keine Spur von Bosheit oder Häme. Er trug das helle Haar ziemlich lang, aus der jungen Stirn glatt nach hinten gebürstet. Er war eine angenehme Erscheinung – man könnte vielleicht sogar sagen, eine gutaussehende –, ein Mann, der Anständigkeit und Intelligenz ausstrahlte. Ich glaubte gern, daß er aus Yale kam.
»Was führt Sie nach Thrupp?« erkundigte ich mich.
»Professor Asher wird die Kitchner-Vorlesungen halten«, antwortete Ferald für ihn.
»Gratuliere«, sagte ich.
Die Kitchner-Vorlesungen waren eine Vortrags- und Diskussionsreihe, die rund um den ewigen Konflikt zwischen Allgemeinwohl und dem Streben nach persönlichem Gewinn aufgebaut war. Für die Studenten der höheren Semester der philosophischen, historischen und englischen Abteilungen war der Besuch Pflicht, zur Teilnahme eingeladen waren aber auch Studenten und Dozenten aller anderen Fakultäten. Die Vorlesungen wurden stets von einem hervorragenden Geisteswissenschaftler gehalten und trugen dadurch dem College ein gewisses Prestige ein. Wie zu erwarten, entzündeten sich an ihnen häufig heftige Debatten, die auf das gesamte College übergriffen.
»Asher ist ein vielseitiger Mann«, sagte Ferald. »Er ist nicht nur Professor der Philosophie, sondern auch Milton-Spezialist, Ökonom und Dichter.«
»Wahrhaftig«, sagte ich.
»Ich glaube, ich kenne Ihre Arbeit«, sagte Asher. »Ihr Spezialgebiet ist Scott, nicht wahr?«
Ich fühlte mich geschmeichelt, daß Asher von meiner Arbeit wußte. Ich konnte jedoch – zu meiner Bekümmerung – Ashers Namen beim besten Willen nicht mit irgendwelchen kritischen Arbeiten in Verbindung bringen.
Zum Glück kam mir Moxon zu Hilfe. »Ashers besonderes Interesse gilt Nietzsche«, bemerkte er.
Ich überlegte einen Moment. »Ich fürchte, wir sind Gott doch nicht los«, sagte ich, frei zitierend, »denn wir glauben immer noch an die Grammatik.«
Ferald lachte tatsächlich. »Van Tassel, Ihre Belesenheit ist beeindruckend.«
Ferald war im Lauf der Jahre nur noch unerträglicher geworden. Was sich bei dem Neunzehnjährigen in Ansätzen gezeigt hatte, war
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