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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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tief gekrümmt pflegte ich über dem Lenkrad zu kauern und dieses so fest umklammert zu halten, daß meine Finger noch Minuten nach der Ankunft am Ziel stocksteif waren. Ich kam mit dem Autofahren einfach nicht zurecht und war immer verkrampft dabei. »Ich habe überhaupt nichts dagegen«, sagte ich nur.
    Ich folgte Etna durch die Seitentür hinaus und ging hinter ihr her den Gartenweg hinunter, der zur Remise führte. Eine halbe Stunde zuvor hatte es ein gewaltiges Gewitter gegeben, jetzt aber stand in einem klaren Himmelsstreifen am unteren Rand einer Wolkendecke die untergehende Sonne. Das Licht war größtenteils geschwunden, aber man konnte noch den Garten erkennen beziehungsweise das, was im Herbst von seiner Pracht geblieben war. Der Phlox stand zum Teil noch in Blüte. (Wie habe ich seinen Duft geliebt! Ich spiele immer wieder mit dem Gedanken, den Garten herzurichten, nur um wieder Phlox zu haben, aber da ich der einzige wäre, der sich daran freut, und sein Anblick gewiß Melancholie in mir wecken würde, halte ich es nicht für klug.) Der Garten war Etnas Werk, und es machte ihr Freude, mitunter morgens Gartenarbeit zu verrichten. In robuster Gärtnerschürze, Strohhut und Gummistiefeln sah sie auf eine liebenswerte Art komisch aus. Sie hatte eine geschickte Hand für die Rosen, die immer noch blühten und weiterblühen würden bis zum ersten tödlichen Frost. Wir hatten bis Mitte Oktober eigentlich immer dicke Rosensträuße auf dem Tisch im Vestibül stehen.
    »Wenn ich zum Vorstand gewählt werde«, sagte ich zu Etnas kerzengeradem Rücken, »gebe ich jedes Jahr zwei Feste: eines im Herbst für die Dozenten – so eine Art Männergesellschaft mit Zigarren und Brandy und dergleichen – und dann im Frühling ein großes Gartenfest für die Familien. Im Mai, denke ich. Ich möchte den Garten voller Kinder sehen.«
    »Das ist eine wunderschöne Idee«, sagte Etna.
    Wie sie das manchmal in einem letzten Aufflackern zu tun pflegt, ließ die Sonne genau in diesem Augenblick die Rosen und den Phlox und den Lattenzaun, den Etna unbedingt hatte haben wollen, den Rasen und die Obstbäume und selbst meine geliebte Frau in ihrem verrückten Hut in einem so herrlichen Licht erstrahlen, daß es mir vor ehrfürchtigem Staunen den Atem raubte (und ich mich selbst heute noch an diesen Moment erinnere). In dieser einen Minute lag rosiges Schimmern über der Welt. Und vor der zurückweichenden dunklen Wolke stieg vom Nachbarfeld ein Regenbogen steil in die Höhe.
    »Oh, Etna, schau!« rief ich.
    Meine Frau blieb stehen, und während wir gemeinsam die Naturerscheinung betrachteten, ging mir der Gedanke durch den Sinn, daß meinem Leben und all meinen Besitztümern in diesem Moment ein heidnischer Segen erteilt wurde. Das Glück war mit mir, oder etwa nicht? Abgesehen von den nächtlichen Qualen der Unruhe, die ich in diesem rosigen Licht nur allzugern zu vergessen bereit war, führten Etna und ich eine gute Ehe, eine bessere als die meisten unserer Bekannten. Wir hatten nie Streit und behandelten einander nicht mit der wegwerfenden Geringschätzung, die ich so oft bei anderen Paaren erlebt hatte. Was habe ich für ein Glück! dachte ich, wie gebannt auf dem Gartenweg stehend. Das Glück, das sich mir mein Leben lang entzogen hatte, schien so fest in meiner Hand, daß ich es als solches zu benennen wagte. »Ich bin so glücklich«, sagte ich.
    »Ach, mein Lieber«, sagte Etna.
    »Ich werde den heutigen Abend sehr genießen«, fügte ich hinzu.
    »Natürlich«, sagte Etna.
    Feralds Haus war ein protziger Bau, der nicht in die Bescheidenheit der Yankeelandschaft paßte. Es war im georgianischen Stil aus englischem Kalkstein erbaut, den man eigens zu diesem Zweck importiert hatte. (Die Kosten müssen exorbitant gewesen sein – dabei liegt der Granit New Hampshires praktisch vor der Tür!) Es hatte einen prunkvollen Portikus, dessen Säulen über zwei Stockwerke in die Höhe ragten. Die schmucklosen Fenster waren groß, und ich denke, wenn man bereit war, die Maßlosigkeit zu vergeben, hätte man das Haus als stattlich bezeichnen können, ein Kommentar, der übrigens an diesem Abend von einer Reihe von Leuten gemacht wurde, denen daran lag, sich bei Ferald lieb Kind zu machen. (Das besagte Haus ist heute, wie ich mich freue berichten zu können, eine Blindenschule.)
    »Du meine Güte«, sagte Etna, als wir die geschwungene Auffahrt hinaufgefahren waren.
    »Tja, wer angibt, hat mehr vom Leben.«
    »Trotzdem – es ist schon

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