Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
bleiben.«
»Na ja …«, sagte Etna kleinlaut.
»Du bist viel zu weich«, sagte ich nachsichtig. Ich stand auf und ging zur Treppe. »Clara, komm bitte herunter«, rief ich nach oben, während ich eine Rechnung las, die ich in der Hand hielt. »Das kann unmöglich stimmen«, sagte ich.
»Was denn?« fragte Etna.
»Es ist eine Rechnung für einen Leuchter«, sagte ich, mich ihr zuwendend. »Weißeisen, sechs Leuchtkerzen. Von March in Hanover. Haben wir einen Leuchter bestellt?«
»Laß mich mal sehen«, sagte Etna. Dann fügte sie in einem Ton hinzu, aus dem ich Verärgerung zu hören glaubte: »Den habe ich doch zurückgehen lassen. Ich verstehe nicht, wieso sie uns eine Rechnung schicken.«
»Dann hatten wir also einen Leuchter bestellt?«
»Ich hatte ihn bestellt, ja«, antwortete sie. »Ich dachte ihn mir hübsch für drüben an der Seitentür. Aber er war viel zu groß. Da habe ich ihn zurückgeschickt.«
»Ich rufe den Mann an und erinnere ihn daran.«
»Nein, laß mich das machen«, sagte Etna. »Du hast genug zu tun. Das ist eine Haushaltsangelegenheit. Ich kümmere mich darum.«
Ich kann nicht sagen, ob wir noch weiter über die Sache sprachen. In diesem Moment nämlich kam Clara, immer lebhaft, selbst wenn sie die Kranke spielte, die Treppe herunter und trat ins Zimmer. Sie war ein Jahr und zwei Tage nach unserer Hochzeit zur Welt gekommen und entwickelte sich zu einem schönen jungen Mädchen. Eine Zeitlang hatte ich geglaubt, sie würde ein dünnes, zartes Pflänzchen werden, da sie kaum an Gewicht zunahm; aber in letzter Zeit war sie kräftiger geworden. Sie war groß wie Etna, hatte die blauen Augen und blonden Haare meiner niederländischen Vorfahren geerbt (ich selbst habe allerdings braunes Haar), und ihre Haut war wunderschön und zart. Ich mußte ein Lächeln unterdrücken, als sie hereinkam; sie hatte die Strickjacke, die sie über ihrer Schuluniform trug, falsch geknöpft.
»Clara, bist du krank?« fragte ich. »Ich warne dich, sag die Wahrheit!«
Schon öffnete Clara den Mund, um zu antworten, doch da veranlaßte sie ein Ton in meiner Stimme, oder vielleicht auch etwas in meinem Blick, innezuhalten. Sie war mit einer Leidensmiene ins Zimmer getreten, die ihr Wohlbefinden nur unvollkommen tarnte. Jetzt schien sie eher verwirrt als von Krankheit geplagt.
»Liebes Kind«, sagte ich in weicherem Ton, »meinst du nicht, du solltest dich heute, wo ihr diese wichtige Geometriearbeit schreibt, überwinden und zur Schule gehen?«
Sie überlegte und sah ihre Mutter an.
»Ich bin derselben Meinung wie dein Vater, Clara«, sagte Etna. »Vielleicht fühlst du dich jetzt schon wieder besser.«
Clara hüstelte einmal schwach, aber sie hatte erkannt, daß das Spiel verloren war. Und deshalb bestand jetzt auch kein Grund mehr, Appetitlosigkeit vorzutäuschen. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die üppigen Speisen auf der Kredenz. »Gibt es heute Konfitüre zum Brot?« fragte sie.
Ich machte mich zu Fuß auf den Weg zum College, wie jeden Morgen bei freundlichem Wetter. Häufig nahm ich den Marsch selbst bei rauher Witterung auf mich; es war ja die einzige Form körperlicher Bewegung, zu der ich mich aufzuraffen pflegte. Wie ich, glaube ich, erwähnt habe, treibe ich im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen keinen Sport. Ich hielt weder etwas vom Reiten noch vom Bowlingspiel oder Baseball. Dennoch war mein Schritt flott, beflügelt von der Stimmung des Herbsttags und den leuchtenden Farben des Laubs – goldenes Ocker und Tulpenrot mit Tönen von Grasgrün durchsetzt. Der Boden, die Luft und das Wasser Neuenglands brachten dieses herrliche Farbenspiel hervor, und es war, auch wenn man es alle Jahre wieder erwartete, stets von neuem eine Überraschung (und diese Überraschung eine weitere Überraschung, da ich doch seit mehr als zwanzig Jahren in Neuengland lebte). Man vergaß während des weißen Winters und des feuchtheißen Sommers, was für eine Farbenpracht die Natur entfalten kann. Ja, man wollte der Farbenvielfalt und dem Blau darüber kaum trauen, und mir ging der Gedanke durch den Kopf, wie selten die Natur in der Literatur zutreffend beschrieben wird. (Bei Wordsworth vielleicht am ehesten, aber eigentlich hatte mehr die Idee der Natur als die Natur selbst den Dichter so stark beschäftigt.) Unwillkürlich kamen mir Gedanken an Gott (der Herbst in Neuengland gehört entschieden zu seinen gelungeneren Schöpfungen), zu dem ich sonst ein ziemlich laues Verhältnis hatte – wenn ich
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