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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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geistig erschöpfte oder zerstreute Kollegen, die jeder in stummem Dialog mit anderen Personen stehen. Über Etnas Gedanken kann ich natürlich nichts sagen (ich glaubte damals, sie sei damit beschäftigt, sich eine weitere Entschuldigung für Millicent Ferald zu überlegen), ich kann nur von meinen eigenen berichten, die von ängstlicher Besorgnis und taktischen Überlegungen geprägt waren.
    Ich ging noch einmal alles durch, was am Vortag gesprochen worden war – sowohl im Korridor der Chandler Hall als auch auf Feralds Empfang –, und formulierte im nachhinein, wie das die meisten von uns gern tun, kluge oder geistreiche Antworten, die in ihrer Schlagfertigkeit der reine Hohn waren, da sie niemals wirklich ausgesprochen werden konnten. Wie sehr wünschte ich, die Zeit ließe sich zurückdrehen, und ich könnte als der selbstbewußte und großzügige Professor auftreten, der bei dem Gedanken an ernsthafte Konkurrenz nicht zitterte und zagte, sondern wie ein echter Sportsmann den Wettstreit willkommen hieß, ja, sogar unterstützte. Aber da ich nie ein Sportsmann gewesen bin und Feralds Bemerkungen mich völlig unvorbereitet getroffen hatten, wirbelte in meinem Kopf ein Strudel wirrer Gedanken, die ich in Etnas Gegenwart lieber nicht in Worte fassen wollte.
    Mit dem Seelenfrieden war mir auch der Appetit abhanden gekommen, und ich stocherte wie ein Kind im schleimigen, eklig aussehenden Gelb meines Frühstückseis herum. Ich mußte Asher aufsuchen, sagte ich mir. Ich mußte mit ihm sprechen, um herauszufinden, wie bedrohlich der Mann tatsächlich war. Ich wußte, daß Eliphalet Stone nicht gern einen Kandidaten von außerhalb auf dem Posten des Collegevorstands sehen würde. Er war der Meinung, und das mit Recht, daß nur jemand, der aus den Reihen der am College tätigen Dozenten hervorgegangen war, die besonderen Bedürfnisse Thrupps erfassen könnte. Genauer gesagt, Stone war gegen jede Erweiterung. Er meinte, wenn zu seiner eigenen geistigen Bildung Latein, Rhetorik und Bibelauslegung ausgereicht hatten, dann sei ein solches Curriculum auch für die nachfolgenden Generationen gut genug.
    Ich war nicht so konservativ wie er, aber meiner Auffassung nach sollte Geld lieber in die Bibliothek gesteckt werden als in zusätzliche naturwissenschaftliche Fakultäten. Im Geist entschuldigte ich mich bei dem schwerkranken William Bliss, der allerdings an dieser Debatte wahrscheinlich so wenig interessiert war wie Mary, die mit einem Blick der Mißbilligung meinen praktisch unberührten Teller abdeckte.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Etna nach der Zuckerdose greifen. Das erinnerte mich daran, wie unhöflich ich mich benahm, und ich bemühte mich augenblicklich, meine Nachlässigkeit wiedergutzumachen.
    »Das war ein netter Abend gestern«, bemerkte ich, das Schweigen zwischen uns brechend.
    »Ja«, sagte sie.
    »Du solltest dir wirklich keine Sorgen mehr wegen des zerbrochenen Champagnerglases machen«, sagte ich.
    »Pardon?«
    »Das Glas, das du hast fallen lassen.«
    »Ach so.« Sie nahm zwei Löffel Zucker (sonst nahm sie immer nur einen).
    »Du hast dich angemessen entschuldigt«, fuhr ich fort, »du solltest dir weiter keine Gedanken machen.«
    Ich sah sie an, und mir fiel auf, daß sie sehr blaß war. »Fühlst du dich nicht wohl?« fragte ich sogleich. »Ich habe gesehen, daß du zwei Löffel Zucker genommen hast.«
    »Wirklich?«
    Sie nahm sich zusammen und aß einen Bissen Toast. Offenbar half ihr das, denn sie lächelte mich an. »Ich muß heute nachmittag ins Baker-Haus und werde vielleicht nicht vor fünf zurück sein«, sagte sie.
    »Ach?« versetzte ich. »Du bist gar nicht dafür gekleidet.«
    Tatsächlich trug Etna eine rosarote Seidenbluse, die meiner Meinung nach für die Arbeit bei den Armen überhaupt nicht geeignet war.
    »Ich hatte ursprünglich nicht vor, heute hinzufahren, aber jetzt habe ich das Gefühl, ich muß«, erklärte sie.
    Diese Erklärung, daß ein Bedürfnis sie treibe, und die Schnelligkeit, mit der sie gegeben wurde, machten mich neugierig. Es kam nicht oft vor, daß ich bei meiner Frau Verlangen in irgendeiner Form bemerkte, und ich begann darüber nachzudenken, daß Wohltätigkeit, wenn auch großherzig, nicht ganz selbstlos ist und nicht nur dem Empfangenden, sondern auch dem Gebenden hilft.
    »Aber zum Essen bist du wieder da?« fragte ich.
    »Ja, natürlich«, antwortete sie, während sie sich etwas auf dem Block notierte, der neben dem Besteck lag.
    Ich betrachtete das Profil

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