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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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unterhalten, auf die ich schon sehr gespannt bin. Sie beginnt am Donnerstag, nicht wahr?«
    Ich setzte mich an den Tisch. Da ich selten im Hotel aß, kannte ich die Frühstückskarte nicht. Ich bestellte Eier, Toast und Orangenmarmelade, als der Kellner wieder kam.
    »Das ist richtig«, bestätigte Asher. Er schien den Appetit verloren zu haben. Aber vielleicht war er auch einfach gesättigt. Die Handgelenke an der Tischkante, beugte er sich ein wenig vor und blickte von mir zum Fenster, dann wieder zu mir, bevor er weitersprach. Sein von Natur aus blasses Gesicht schien an diesem Morgen beinahe durchsichtig. »Ich hoffe, die Vorträge geraten mir nicht allzu trocken.«
    »Unsinn«, sagte ich. »Aber ich kann mir vorstellen, daß New Haven Ihnen fehlt.«
    »Oh, ich freue mich, Neuenglands vielgerühmten Herbst hier oben zu erleben. Die Farben sind ja um so kräftiger, je weiter man nach Norden kommt.«
    »Da gibt es eine Grenze«, sagte ich. »In Kanada sollen sie blaß sein, habe ich gehört.«
    »Hm, ja«, sagte Asher. »Ich bezog mich auf Neuengland.«
    »Aber Thrupp kann doch jemandem, der das hohe wissenschaftliche Niveau Yales gewohnt ist, kaum etwas zu bieten haben«, meinte ich. »Ich beneide Sie.«
    »Wirklich?«
    »Ich beneide jeden, der Gelegenheit zu lebendiger Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten hat, etwa über das Werk Bertrand Russells oder Hilaire Bellocs oder auch Ben Jonsons.«
    »Ich fürchte, bei Ben Jonson kann ich nicht mitreden«, sagte Asher. »Das ist nicht mein Gebiet.« Er hielt einen Moment inne, als könnte er sich nicht erinnern, welches sein Gebiet war, und ich bemerkte, daß er mit großer Aufmerksamkeit mein Gesicht musterte – ein Gesicht, das so viel Aufmerksamkeit gewiß nicht wert war.
    »Ein Dichter von mäßiger Bedeutung«, sagte ich und unternahm meinerseits eine kleine Musterung.
    Ashers Gesicht war markant geschnitten, die Wangenknochen traten deutlich hervor, die Augen waren von einem reinen Grau. Er war ohne Zweifel ein gutaussehender Mann, eine Feststellung, die mich beunruhigte, da ich nur zu gut wußte, daß die Schönheit eines Menschen andere leicht für ihn einnimmt. Und ich wußte, daß auch das Umgekehrte galt: Bei mir selbst hatte sich die Tatsache, daß ich kein schöner Mensch bin, gelegentlich als Hindernis auf dem Weg nach oben erwiesen. (Aber lassen Sie mich hier die Chronologie kurz durchbrechen, um zu erzählen, daß ich Asher mehr als ein Jahrzehnt später zufällig in der Newbury Street in Boston begegnete und mit Entsetzen sah, wie sehr die Jahre ihm zugesetzt hatten. Er war schlicht und einfach verblaßt . Sein Haar war weiß, und seine Augenbrauen waren so hell, daß sie nahezu unsichtbar waren. »Es war nicht wahr«, sagte ich zu ihm, während wir auf dieser hübschen Straße in Boston beieinanderstanden. Asher nickte, einen Augenblick sprachlos.)
    »Ich fürchte, Sie werden Thrupp sehr eintönig finden«, sagte ich.
    »Bisher kann ich das nicht behaupten.«
    »Aber Sie werden es bald leid sein, glauben Sie mir. Ich gebe gern zu, daß es in den verschiedenen Fakultäten einige ausgezeichnete Köpfe gibt, aber es ist einfach so wenig los in Thrupp«, sagte ich. »Kein Theater, keine Konzerte.«
    »Tatsächlich?« fragte er. »Man sagte mir, die Cushing-Konzerte seien durchaus hörenswert.«
    »Aber sie finden im Frühjahr statt«, sagte ich.
    »Ja«, sagte er.
    »Und bis dahin sind Sie schon wieder in New Haven«, sagte ich.
    »Ich bin das ganze Jahr freigestellt«, sagte er.
    »Ach ja, richtig, richtig«, sagte ich. »Haben Sie Familie?«
    »Ich bin nicht verheiratet, falls Sie das meinen.«
    »Sie haben in Harvard studiert?«
    »Ja.«
    »Hat Ihnen Cambridge nicht gefallen?« fragte ich.
    »Das war es nicht«, antwortete Asher mit Bedacht. »Es war einfach so, daß New Haven damals für mich das Beste zu sein schien.«
    »Sie sind von London nach Cambridge gegangen, dann nach New Haven, und nun sind Sie in Thrupp, Professor Asher. Sie sind ein Nomade. Der sich in die falsche Richtung bewegt, würde ich sagen.«
    »Oder in die richtige, es kommt ganz auf den Standpunkt an«, erwiderte er ruhig.
    »Natürlich.« Ich beschäftigte mich mit meinem Frühstück. »Verzeihen Sie die Frage, aber wie alt sind Sie?«
    »Vierunddreißig.«
    »So jung noch!«
    Asher sagte nichts.
    »Trotzdem Zeit, an eine Familie zu denken«, bemerkte ich.
    »Vielleicht.«
    »Allerdings sollte man nicht hoffen, in Thrupp die passende Frau zu finden.«
    »Nein?« fragte

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