Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Hochzeitsreise vergessen«, platzte ich heraus.
Etna fuhr ein wenig zurück – erschrocken, vermute ich, von der Heftigkeit meiner Worte. Sie verharrte in einer Haltung absoluter Reglosigkeit, wie ich das in Augenblicken der Furcht oder der Verwirrung stets bei ihr erlebt hatte. Wir hatten nie zuvor über die Ereignisse während unserer Hochzeitsreise gesprochen, und ich war jetzt entsetzt darüber, daß ich meine Zunge nicht im Zaum gehalten hatte.
»Es ist ja nur …«, sagte ich in dem Bemühen, abzumildern und zu erklären. »Es scheint doch …« Ich merkte, daß ich den quälenden Verdacht jener Nacht nicht in Worte fassen konnte. Ich konnte sie nicht fragen, ob sie vor mir andere Liebhaber gehabt hatte. Die Vernunft hatte über blinden Mut gesiegt. »Ich kann es wirklich nicht sagen«, meinte ich hilflos.
Etna schüttelte den Kopf. »Was ist denn nur los, Nicholas?« fragte sie. »Du benimmst dich heute abend wirklich sehr merkwürdig.«
»Es ist nichts«, versicherte ich. »Es ist nur …« Ich konnte nicht fortfahren. Aber ich bin sicher, daß sie verstand. Sie legte mit so zärtlicher Geste und so liebevoll ihre Hand auf die meine, daß es mir noch heute bei der Erinnerung den Atem raubt.
»Nicholas, manchmal bringst du mich wirklich zum Lachen. Du bist so ernst und so heftig bemüht.«
»Wir alle sind bemüht, jeder auf seine Weise«, entgegnete ich.
»Man hat mir erzählt, daß es hier auch einen Wintergarten gibt«, sagte sie und stand auf.
»Einen Wintergarten«, wiederholte ich, ebenfalls aufstehend. »Noch so eine englische Affektiertheit. Wenn Ferald England so großartig findet, sollte er vielleicht einfach dorthin übersiedeln.«
»Würde dich das glücklich machen?« erkundigte sich Etna.
Ich zog meine Weste herunter, die über meinem runden Bauch in die Höhe gerutscht war. »Ich bin schon glücklich«, behauptete ich.
Wir verließen die Schwimmhalle. Während wir von Raum zu Raum gingen, konnte ich das Stimmengemurmel aus den Gesellschaftsräumen des Hauses hören. Nach einiger Zeit fanden wir den Wintergarten, durch dessen Glasdach man die Sterne betrachten konnte. Weiter entdeckten wir eine sehr moderne Küche, die mit den neuesten Geräten ausgestattet war: einem Toaströster, einem Eisschrank, einer elektrischen Heizplatte. Wir unternahmen eine hastige Besichtigungstour durch eine Speisekammer, die beinahe so lang zu sein schien wie die Südseite unseres gewiß nicht kleinen Hauses. Wie Kinder, die meinen, sich einen tollen Streich geleistet zu haben, ohne ertappt worden zu sein, kehrten wir schließlich ins gesellschaftliche Treiben zurück.
Ein Bediensteter präsentierte ein Tablett mit Champagnerkelchen. Etna und ich nahmen jeder einen und stießen miteinander an. Das schneidende Klirren eines silbernen Messers an einem Weinglas durchbrach unsere Verschwörerstimmung. Alle drehten die Köpfe, um zu sehen, woher der Aufruf kam.
Als Edward Ferald aller Aufmerksamkeit auf sich versammelt sah, stellte er das Glas nieder und legte das Messer zur Seite. »Freunde und Kollegen, ich heiße Sie und Ihre charmanten Gemahlinnen willkommen«, begann er.
Das Kompliment wurde mit höflichem Gelächter quittiert. Man konnte allerdings nicht umhin zu vermerken, daß an Feralds Seite nicht seine charmante Gemahlin stand, sondern Phillip Asher, Professor der Yale-Universität.
»Ich danke Ihnen allen, daß Sie an diesem schönen Oktoberabend meiner Einladung gefolgt sind«, fuhr Ferald fort. »Ich will Sie nicht lange vom Abendessen abhalten, aber ich möchte doch denjenigen unter Ihnen, die ihn noch nicht kennengelernt haben, meinen besonderen Gast vorstellen, Phillip Asher, Professor der Philosophie an der Yale-Universität. Professor Asher hat sich freundlicherweise bereit erklärt, die Kitchner-Vorlesungen an unserem College zu halten.«
An dieser Stelle gab es einiges Gemurmel, sogar etwas Applaus.
»Professor Asher, der an der Harvard-Universität promoviert hat, ist in London geboren, emigrierte im Alter von sechs Jahren in die Vereinigten Staaten und ist hier, in unserem schönen New Hampshire, aufgewachsen. Er ist nicht nur Ethiker und Dichter, sondern auch Forscher und ist erst kürzlich von einer Expedition nach Neuguinea zurückgekehrt«, verkündete Ferald. »Für das laufende Semester hat Yale ihn beurlaubt, aber vielleicht …« (hier zwinkerte Ferald, ein ausgesprochen schmieriger Anblick, und legte Asher besitzergreifend den Arm um die Schulter) »… können wir
Weitere Kostenlose Bücher