Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Professor Asher überreden, ein wenig länger zu bleiben.«
Auf der Suche nach einem Ort, wohin er seinen verlegenen Blick wenden konnte, sah Asher mich an, und im selben Moment erkannte ich das Offenkundige.
Asher war Kandidat für den Vorstandsposten. Es war nur allzu klar.
Schockiert über diese neue, sichere Erkenntnis, sah ich mir den Mann genauer an. Er war alles, was ich nicht war. Er konnte sich auf englische Vorfahren berufen, ich mich nur auf ein behäbiges niederländisches Erbe. Er war offensichtlich ein brillanter Gelehrter, ich nur ein braver Schulmeister. Er ein Dichter, ich ein kleiner Pedant. Ich ließ im Geist jene Angehörigen des Verwaltungsrats Revue passieren, denen Asher vermutlich zusagen würde, als da waren: der hochwürdige Mr. Frederick Stimson, derzeit Pastor am College (den die Vorstellung von einem Ethiker als Collegevorstand zweifellos faszinieren würde); Howard Yates, ein Bankier aus einer alten Familie Neuenglands; Clark Price, erklärtermaßen anglophil; ganz zu schweigen von dem allgegenwärtigen Ferald, von dem ich wußte, daß er mich verachtete. Konnten pflichtbewußtes bürokratisches Ackern und verbissenes geistiges Bemühen mit vielseitigem Intellekt und musischer Begabung konkurrieren?
Ashers Blick ließ mich nicht los, und ich wußte nur zu gut, was er sah: einen Mann, der dank seiner sitzenden Tätigkeit mit den Jahren korpulent geworden war; bei dem der Haaransatz mit der gleichen Geschwindigkeit zurückging, mit der die Mitte an Umfang gewann. Wußte er, daß auch ich ein Kandidat war? Hatte Ferald ihn davon unterrichtet, oder war er fähig, beim anderen den Ehrgeiz zu wittern?
Als am Abend des Hotelbrands mein Blick zum erstenmal auf Etna Bliss gefallen war, hatte ich heißestes Verlangen verspürt. Dieser Moment hatte mein Leben für immer verändert. Ich hatte es mir längst angewöhnt, es in die Zeit vor Etna und die Zeit nach Etna zu unterteilen. So war die Situation, als ich sehen mußte, wie Ferald Asher unter seine Fittiche nahm. Eifersucht sprang auf und sandte ihre Flamme in die Höhe, und ich erkannte, daß ich diese Leidenschaft noch nie in ihrer ganzen Tiefe ausgelebt hatte, nicht einmal in meinen Phantasien, wenn ich neben Etna in unserem Ehebett lag. Das war, im Vergleich, eine Art kopfgeborenen Neids gewesen, der sich im hellen Licht des Frühstückszimmers schnell wieder verflüchtigte. Aber dies – dies war etwas andres: die Kehrseite der Bewunderung, die dunklere Seite der Liebe.
(Mir kommt jetzt, zwanzig Jahre nach den geschilderten Ereignissen, der Gedanke, daß starke Leidenschaft oder Eifersucht sich vielleicht auf ein Zusammenspiel chemischer Reaktionen reduzieren läßt, die jedesmal von neuem ausgelöst werden, wenn die Erinnerung an das Initialereignis geweckt wird. Wenn das so ist, was für ein chemisches Gewitter muß dann in meinem Gehirn toben, während ich diese Erinnerungen niederschreibe!)
(Ich muß einmal den Chemieprofessor nach den chemischen Abläufen im Gehirn fragen, wenn ich wieder in Thrupp bin.)
In dieser Nacht schlief ich äußerst schlecht, eigentlich fast gar nicht, und spürte an Etna, die neben mir lag, von Zeit zu Zeit eine gespannte Wachheit, die ich sonst nicht an ihr kannte. Ich schrieb ihre Schlaflosigkeit der Tatsache zu, daß sie auf der Abendgesellschaft bei Ferald kurz ungewollt Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie hatte sich beim Gastgeber mit der Erklärung entschuldigt, ihr sei das beschlagene Champagnerglas unglücklicherweise ausgerechnet in dem Moment der Stille nach Feralds Einführung des Kollegen Asher aus den Fingern gerutscht und zu Boden gefallen. Mich selbst hielt das Bild von Phillip Asher wach, dessen patrizische Züge ich allzu klar vor mir sah.
So trieben Etna und ich auf den stürmischen Wogen der Schlaflosigkeit dahin – zwei kleine Boote, von denen das eine bald sichtbar, bald verloren war und das andere aus einem Wellental aufstieg, um im nächsten zu versinken –, bis wir morgens von unserem Mädchen Abigail geweckt wurden. Als hätte sie das Klopfen seit Stunden erwartet, sprang Etna so schnell aus dem Bett, daß ich nicht einmal ein kurzes Wort an sie richten konnte.
Wir trafen wie immer nach der Morgentoilette im Frühstückszimmer zusammen. Aber das gewohnte Aufatmen nach der Befreiung aus den nächtlichen Spannungen zwischen uns blieb an diesem Morgen aus. Wir begrüßten einander nicht wie gute Freunde (kein Kuß an diesem Morgen, soweit ich mich erinnere), sondern eher wie
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