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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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unseren beiden früheren Begegnungen. Ich hatte eine vorübergehende Schwäche bei Phillip Asher entdeckt, möglicherweise ein Anzeichen dafür, daß der Mann meine Kandidatur fürchtete. Vielleicht war also doch noch nicht alles verloren.
    Wie es das Schicksal wollte, kam Asher an diesem Sonntag nicht zum Mittagessen und auch nicht am darauffolgenden. Am Freitag nach unserem Frühstück im Hotel Thrupp starb William Bliss, und Etna und ich mußten wohl oder übel eine gewisse Trauerzeit einhalten.
    Etna war verständlicherweise tief betrübt, und ich blieb den größten Teil der Woche zu Hause, um mich um sie zu kümmern. Etwas Trost fand sie bei ihrer Schwester Miriam, die eigens aus Exeter anreiste, um an der Trauerfeier teilzunehmen. (Pippa, Etnas andere Schwester, war gerade zu Besuch bei der Familie ihres Mannes in Chicago und konnte deshalb nicht kommen.) Keep, Miriams Mann, begleitete seine Frau, und die beiden wohnten natürlich bei uns im Haus. Ich mochte Josip Keep nicht, aber in so einer Situation ist man großherziger, als man es sonst vielleicht wäre. Außerdem sah ich hier eine gute Gelegenheit, die Erinnerung an meinen tölpelhaften und ängstlichen Auftritt in seinem Haus an jenem lang vergangenen Sonntag morgen vergessen zu machen. Miriam besuchte uns zwar regelmäßig jedes Jahr für etwa eine Woche, aber ihr Mann war bisher nie mitgekommen. Ich machte mir hinsichtlich seiner Meinung über unser Städtchen keine Illusionen (»gräßlich«, erklärte er gleich bei seiner Ankunft), aber ich dachte, wenigstens unser Haus würde ihm vielleicht Eindruck machen. (Tatsächlich war das nicht der Fall: »Ich verstehe nicht, Van Tassel, warum Sie das Haus nicht so gestellt haben, daß einem der unschöne Anblick dieser Granithügel erspart bleibt«, sagte er. »Es stand bereits, als ich es gekauft habe«, antwortete ich kochend.)
    Die Beerdigung, bei der Pastor Frederick Stimson in einer sehr persönlichen und bewegenden Rede die menschliche Güte und geistige Brillanz unseres Physikprofessors würdigte, war beeindruckend. Etna weinte heftig (ihre Schwester Miriam weinte nicht; sie schien den Mann kaum gekannt zu haben), und auch ich spürte den Kloß im Hals, der sich bei uns Männern festsetzt, wenn wir die Tränen zurückhalten. Ich war ergriffen von Etnas offenkundigem Schmerz, meiner Zuneigung zu William Bliss (die durchaus echt war; in seinem Haus hatte ich schließlich Etna kennengelernt) und von der Erinnerung an unsere Hochzeit vor vierzehn Jahren in ebendieser Kirche und an den ersten zitternden Kuß, den ich mit meiner Frau getauscht hatte.
    Es gab keinen einzigen freien Platz mehr in der Kirche. Ich hatte nicht gewußt, daß Bliss sich so breiter Zuneigung erfreut hatte, obwohl ich es mir hätte denken können; er war ein sanftmütiger Mensch gewesen, der sich durch scharfes Verständnis auf einem schwierigen Gebiet ausgezeichnet hatte. Nach der Feier begaben sich die Trauergäste zum kalten Büfett ins Haus von Evelyn Bliss, die deutlich erschöpft schien von der anstrengenden Pflege ihres Mannes während seiner Krankheit und erschüttert von seinem Tod.
    Etna und ich stellten uns nebeneinander ins Vestibül des Hauses, um die Trauergäste zu begrüßen, die zum Essen kamen. (Ein merkwürdiger Brauch, denke ich oft. Wer hat denn nach einer Beerdigung, die unweigerlich zu Gedanken an den eigenen Tod Anlaß gibt, noch Appetit?) Ab und zu, wenn frische Aufwallungen von Schmerz sie zu überkommen drohten, verschwand Etna von meiner Seite, und einmal, als sie ungewöhnlich lange ausblieb, begab ich mich auf die Suche nach ihr. Zuerst schaute ich mich in den unteren Räumen um, und als ich sie dort nirgends entdeckte, ging ich nach oben. Aus einem der Zimmer vernahm ich ein Geräusch. Ich trat näher, aber vor der Tür zögerte ich; die Erinnerung daran, wie ich Etna an unserem Hochzeitstag im Schlafzimmer ihrer Tante überrascht hatte, drängte sich plötzlich durch das dichte Gewebe von vierzehn Jahren Ehe. Ich spreche von dem Anblick meiner Frau, wie sie keine Stunde nach unserer Hochzeit in intensiver Zwiesprache mit sich selbst vor dem Spiegel stand, von dem Bild der Trostlosigkeit und des furchtbaren Verfalls, das dieser Spiegel zurückwarf, von einem Blick, wie ich ihn nie im Gesicht eines anderen Menschen gesehen hatte. Ich schüttelte die Erinnerung ab und setzte meinen Weg fort, trat über die Schwelle, wo mich kein entsetzlicherer Anblick erwartete als der meiner Frau, die mit

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