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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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geschwollenen, rot umrandeten Augen auf dem Bett saß.
    Sie holte einmal tief Atem und hob den Kopf, als ich eintrat.
    »Mein Liebes«, sagte ich. »Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«
    »Ich hätte Onkel William häufiger besuchen sollen«, sagte sie.
    »Du hast ihn so oft wie möglich besucht.«
    »Nicht oft genug. Er hat gelitten. Ich bin so egoistisch gewesen.«
    »Unsinn, Etna. Du hast mehr getan, als deine Pflicht war.«
    »Ich habe nur an mich gedacht.«
    Der Ausbruch meiner Frau überraschte mich, aber ich nahm ihn mit Toleranz hin; sie hatte ja praktisch zum zweitenmal den Vater verloren. »Etna, ich verstehe dich nicht«, sagte ich. »Du denkst an alle, nur nicht an dich selbst. Du sorgst vorbildlich für die Kinder und mich.«
    »Ich täusche dich, Nicholas. Du hältst mich für tugendhaft, dabei kümmert mich Tugend in Wirklichkeit wenig. Du hältst mich für selbstlos, dabei denke ich in Wirklichkeit viel zuviel an mich.« Sie sah mich einen Moment aufmerksam an. »Ich habe nicht für dich gesorgt, Nicholas. Überhaupt nicht. Ich war dir eine kalte Ehefrau, und es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid.«
    Ich berührte ihre Schulter. »Du warst nicht kalt«, sagte ich.
    »Aber ich habe dich nicht geliebt«, entgegnete sie.
    Meine Finger auf ihrer Schulter erstarrten. Ich verspürte eine Lähmung, wie sie einen vielleicht im Augenblick extremen Schocks befällt (ich denke an die Frau, die bei dem Hotelbrand neben dem Büfett wie gelähmt niederfiel und hinausgetragen werden mußte). Ich hatte gewußt – natürlich hatte ich es gewußt –, daß meine Frau mich nicht liebte. Aber es ausgesprochen zu hören. Es ausgesprochen zu hören!
    »Nicholas«, sagte sie, »verzeih mir. So habe ich das nicht gemeint.«
    »Doch.«
    »Ich habe dir weh getan.«
    »Es spielt keine Rolle.«
    »Sieh mich an, Nicholas«, sagte sie.
    Ich sah sie an.
    »Bitte setz dich.«
    Wieder folgte ich ihrer Aufforderung.
    »Du liebst mich von ganzem Herzen«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Das ist ein wunderbares Geschenk. Einen anderen so lieben zu können. So vorbehaltlos. So frei. Begreifst du das? Ist dir klar, was das wert ist?«
    Ich machte wahrscheinlich ein erstauntes Gesicht. Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    »Aber ja doch, Nicholas. Ich beneide dich«, sagte meine Frau.
    Die Heftigkeit ihrer Worte verblüffte mich. Dieses Verhalten entsprach so gar nicht ihrer Art. Einige Zeit lang rührten wir uns beide nicht.
    Und was soll ich zu dem sagen, was danach kam? Daß aus dem Tod Leben entspringt? Daß in den finstersten Stunden der Schmerz den Körper befreit? Ich habe solchen Schmerz kennengelernt und das langsame Aufkeimen des Verlangens, das folgt, eines Verlangens, das sich sehr schnell zu brennender Gier nach Leben entwickeln kann (ein Schutz vor Auslöschung, denke ich oft). So war es an jenem Tag, als ich mich zu Etna aufs Bett setzte und sie sich mir zuwandte und mein Gesicht mit ihren Händen umschloß. Sie sah mich an und suchte in meinen Zügen nach – wonach suchte sie so verzweifelt? Ich weiß es nicht, aber ich erinnere mich mit aller Klarheit an den Kuß, der folgte, es war ein Kuß, der mich zugleich rührte und erregte. Es war die erste Ahnung echter Leidenschaft, die ich je von meiner Frau empfangen hatte, und sie erweckte in mir eine Freude, die um der langen Wartezeit willen um so süßer war.
    Es fällt mir schwer, diese höchst intime Erinnerung hier auszubreiten, aber da sie Teil meines Berichts ist und Teil meines Versuchs, Etna zu verstehen, will ich sie niederschreiben. Etna küßte mich auf Augen und Wangen. Sie suchte meinen Mund. Sie berührte sachte meinen Hals. Sie schob ihre Finger unter den Knoten meines Schlipses und zog ihn überraschend geschickt auf. Ihre Hände glitten auf beiden Seiten unter das Revers meines Jacketts und schoben es mir von den Schultern. Ich begann, Etna zu helfen, kaum fähig, meinem Glück zu trauen.
    Etna berührte mich so, wie sie mich nie zuvor berührt hatte (mich, Nicholas Van Tassel), und ich erlebte eine halbe Stunde so unendlicher Glückseligkeit, daß es mir heute wie ein Traum erscheint. Ich stieß mit einem Fuß die Tür zu und ließ mich von meiner Frau auskleiden. Zum erstenmal in unserer Ehe liebte Etna mich.
    Ich brauchte keine besonderen Fertigkeiten, um ihr Lust zu bereiten. Es war alles mühelos, ekstatisch. Und ich weiß, als wir danach halb entkleidet beieinander lagen, dachte ich, so muß es sein: Mann und Frau, Körper an Körper, die

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