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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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wiedergefunden hatte. »In unserem Städtchen denkt man ganz anders.«
    Asher betrachtete die Bücherregale, eine kleine Zeichnung von Sargent, die an der Wand hing. Er beugte sich ein wenig vor und berührte den Fuß einer bronzenen Merkurfigur auf meinem Schreibtisch.
    Ich war so aufgeregt über die Neuigkeit, daß ich kaum in der Lage war, klar zu denken. »Was für ein ungewöhnlicher Zufall«, bemerkte ich, »daß Ihr Bruder mit meiner Frau bekannt ist.«
    »Ja, nicht wahr?« sagte er.
    »Woher kennen sich die beiden?«
    »Ich glaube, mein Bruder kannte den Vater Ihrer Gattin«, sagte er. »Sie waren beide Lehrer an der Phillips Academy in Exeter.«
    »Eine tolerante Schule«, sagte ich erfreut.
    Asher sah mich an, sagte aber nichts.
    »Ihr Bruder gehört der Generation meines verstorbenen Schwiegervaters an?« fragte ich.
    »Nicht ganz«, antwortete Asher. »Mein Bruder ist zehn Jahre älter als ich.«
    »Also in meinem Alter.«
    »Ja, in etwa, würde ich denken.«
    »Und er ist nach Kanada ausgewandert?«
    »Ja, nach Toronto. Er hatte sich dort gerade eingelebt, als man ihn nach London holte.«
    »Gut, gut«, sagte ich.
    Asher warf mir einen seltsamen Blick zu.
    »Sie vermissen ihn wahrscheinlich«, sagte ich hastig.
    »Wir hatten nie viel miteinander zu tun«, sagte Asher. »Der Altersunterschied. Als ich zehn wurde, war mein Bruder schon aus dem Haus.«
    »Ah, ja. Sie selbst sind also meiner Frau nie begegnet?«
    »Doch, doch. Ein- oder zweimal, aber nur flüchtig.«
    »Darf ich Ihnen noch etwas einschenken?« fragte ich, nunmehr beinahe unerträglich guter Stimmung.
    »Gern, danke.« Asher setzte sich anders in seinem Sessel, das Knarren des Leders verriet sein Unbehagen. Ein wahrhaft gelassener Mensch, sagte ich mir, könnte eine Stunde lang völlig ruhig sitzen.
    »Ich nehme an, meine Frau wird bei ihrer Tante zu Abend essen«, sagte ich. »Vielleicht können wir beide später zusammen essen, Sie und ich. Im Ort.«
    »Es wäre mir ein Vergnügen«, gab Asher zurück, »aber ich bin bei Eliphalet Stone eingeladen.«
    »Ach, bei Stone?«
    »Ja«, bestätigte Asher.
    Er sagte nichts Näheres dazu. Aber das brauchte er auch nicht. Eliphalet Stone konnte Phillip Asher nur aus einem Grund in sein Haus eingeladen haben. Wußte Stone, daß Asher Jude war? Bestimmt nicht.
    »Nun, dann vielleicht ein andermal«, sagte ich.
    »Ja, ein andermal«, wiederholte Asher mit einem Blick zur Uhr über dem Kamin. »Ist es wirklich schon fast sechs?«
    »Die Uhr geht vor«, sagte ich.
    Ashers offenkundiges Verlangen zu gehen grenzte ans Unhöfliche.
    »England hat schwere Verluste hinnehmen müssen«, bemerkte ich.
    »Nicht ohne den anderen beträchtlichen Schaden zuzufügen.«
    »Es wird sicher bald einen Luftkrieg geben«, meinte ich.
    »Ja«, stimmte er zu, »er ist unvermeidlich.«
    »Diese Sache mit der Hawke war ja grauenhaft.« Ich bezog mich auf den britischen Kreuzer, der vor der Küste Schottlands torpediert worden war.
    »Entsetzlich, ja.«
    Eine Zeitlang sprachen wir weiter über den Krieg in Europa. Ich goß mir noch einen Brandy ein.
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Herr Kollege?« (Asher wird meine Worte etwas seltsam gefunden haben; ich hatte ja den ganzen Abend lang nichts anderes getan als Fragen zu stellen; tatsächlich hatte unser kleines Gespräch unter Männern starke Ähnlichkeit mit einem Verhör.)
    »Selbstverständlich.«
    »Warum Thrupp?«
    Asher räusperte sich. »Ich sehe hier eine Gelegenheit, ein Provinzcollege auf den Stand einer Universität zu bringen«, antwortete er.
    »Sie würden Fachstudiengänge mit Magisterabschluß einführen?«
    »Ja, das wäre mein Ziel.«
    »Und wie würden Sie das finanzieren?«
    »Ich müßte versuchen, Leute oder Institutionen zu finden, die bereit wären, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.«
    »Ah. Ist das nicht eher eine Aufgabe für einen Collegepräsidenten als für einen Vorstand, der doch mehr oder weniger für die Disziplin zuständig ist?«
    »Da muß ich widersprechen.« Asher stellte sein Glas nieder. »Zu den Aufgaben eines Collegevorstands gehört sicher mehr, als für Disziplin zu sorgen. Ihm obliegen die Geschäftsführung des College, die Planung eines Curriculums …«
    »Das heißt, Sie würden den Tätigkeitsbereich dieser Position erweitern.« Meine Stimme klang beinahe wie ein Kichern.
    »Ich würde ihn auf jeden Fall in vollem Umfang wahrnehmen.«
    »Ich fürchte, unser kleines, bescheidenes College wird unter der Last von

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