Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
blieb ich stehen. Gleich hinter dem Hauptgebäude – einem mehrere Stockwerke hohen weißen Herrenhaus mit einer imposanten Säulenhalle – stand eine kleine Remise. Vor diesem kleineren Gebäude hatte Etna den Cadillac abgestellt.
Vielleicht holte meine Frau hier eine Spende für das Heim ab. Es gab damals nicht viele Frauen, die Auto fahren konnten, vielleicht hatte Etna einer Bekannten ihre Dienste angeboten. Aber als ich mich dem Herrenhaus näherte, sah ich, daß im Erdgeschoß die Läden geschlossen und in den Fenstern der oberen Stockwerke die Vorhänge zugezogen waren wie bei einem Sommerhaus, das den Winter über leer steht. Aber wenn das Haus unbewohnt war, was tat Etna dann hier?
Ich klappte meinen Mantelkragen hoch und ging am Herrenhaus vorbei zu Etnas Coupé. Das Haus stand auf einem herrlichen Stück Land, sanft gewellt und freundlich selbst im November. Soweit ich erkennen konnte, war das Anwesen von einer schönen Steinmauer umgrenzt. Hinter dem Haus waren Rosenbeete, ein Weingarten und Obstplantagen.
Das kleine Gebäude, das ich für einen Wagenschuppen gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein einfaches, schmuckloses Wohnhaus. Die Haustür war viel zu schmal, um einen Pferdewagen oder ein Automobil durchzulassen. Mich erinnerte das Gebäude an ein Schulhaus, und flüchtig schoß mir der Gedanke durch den Kopf, Etna hätte eine Stellung als Privatlehrerin bei einer Familie angenommen, und ich hätte einfach nicht zugehört, als sie mir das mitgeteilt hatte. Es war ein weißes Holzschindelhaus mit Fenstern ohne Läden und einem schrägen Dach, das von einer Kuppel gekrönt war. Das Gelände unmittelbar um das Häuschen herum sah aus, als wäre es bepflanzt und dann für den Winter hergerichtet worden. Nirgends rührte sich etwas, und außer dem Cadillac waren keine Autos oder Pferdewagen in der Nähe.
Ich trat zu einem Fenster und spähte hinein. Mein Blick fiel in einen Raum, der weder Salon noch Speisezimmer oder Küche war, vielmehr alles in einem, wie man es in den Hütten der Armen sieht. Die Wände waren weiß getüncht, der Verputz war an manchen Stellen abgeplatzt. Weiße Leinenvorhänge, unterhalb der Simse zur Seite genommen, zierten die Fenster, und an der Wand direkt gegenüber hing über einem Sofa der Rahmen eines gotischen Fensters wie aus einer kleinen Kapelle. Verblichene französische Blumenstudien waren mit Hutnadeln an den Wänden befestigt, und in einer Ecke des Raums stand ein hoher cremefarbener Apothekerschrank. Auf diesem Schrank sah ich eine Kuchendose aus Blech, in deren verschließbares Türchen ein grünes Muster eingestanzt war. Den einzigen Tisch in dem von diffusem Licht erfüllten Raum schmückte ein weißer Krug mit Strohblumen.
In der Mitte des Zimmers hing ein weißer Leuchter von der Decke herab. Das originelle Mittelstück des Leuchters, der zu groß war für den Raum, war ein Arrangement aus weißen Metallblumen, an denen stellenweise der Rost durchschimmerte, was ihnen einen Hauch des Morbiden verlieh. Aus dieser Blumenpracht – die teils aus Margeriten, teils aus Rosen mit scharfkantigen Blütenblättern bestand – entsprangen die sechs ausgebreiteten Arme mit den Leuchtkerzen. Überall an dem Leuchter, an Stengeln, Blättern und Ranken, funkelten Kristallgehänge.
An einem der Fenster, mit dem Rücken zu mir, saß Etna auf einem Holzstuhl mit gerader Lehne. Sie war über eine Handarbeit gebeugt.
Ich trat vom Fenster weg und drückte mich an die Hauswand. Der Regen schlug mir ins Gesicht. Ich weiß nicht, warum ich so reagierte, warum ich nicht einfach ans Fenster klopfte, um meine Frau auf mich aufmerksam zu machen, warum ich nicht, wie es sich gehört hätte, an die Tür klopfte. Ich glaube, der Schock darüber, meine Frau in der weißen Stille dieses fremden Zimmers so ruhig über ihrer Arbeit sitzen zu sehen, hatte mich völlig aus der Fassung gebracht.
Fragen stürmten auf mich ein. Was tat Etna hier? Wem gehörte das Häuschen? War es das Häuschen einer Schneiderin? Hatte Etna Näharbeiten angenommen, um etwas Geld zu verdienen?
Als ich mich wieder dem Fenster zuwandte, tat ich es mit einer gewissen Verstohlenheit. Ich beobachtete sie bei ihrer Näharbeit. Ich sah, wie sie eine Nadel zwischen die Lippen klemmte. Sie hob das Material, an dem sie arbeitete, ordnete es neu und legte es wieder auf ihrem Schoß zurecht. Ihr Autohut und der Mantel mit dem Fuchskragen lagen auf dem Sofa wie in Eile hingeworfen. Unter dem Schirm, der geschlossen in
Weitere Kostenlose Bücher