Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
nähen, wo sie doch zu Hause nähen konnte – und dies auch beinahe jeden Abend tat?
Ich war zerstreut beim Fahren und bog ein paarmal falsch ab. Schlimmer noch, mir ging das Benzin aus, und ich mußte warten, bis ein Autofahrer vorbeikam, der mir aushelfen konnte. Als ich zu Hause eintraf, stand Etnas Coupé in unserer Auffahrt. Naß bis auf die Haut, lief ich ins Haus und ging schnurstracks nach oben in Etnas Ankleidezimmer.
Sie stand im Unterkleid vor dem Spiegel und hielt sich ein Kleid an, das sie zum Abendessen anziehen wollte.
»Nicholas!« rief sie und drückte das Kleid an ihre Brust.
»Wo warst du?«
»Wie meinst du das?«
»Wo warst du?« schrie ich sie an. In Hut und Mantel stand ich da, und das Wasser tropfte von meinen durchnäßten Kleidern. Ich wußte, daß ich meiner Frau angst machte, aber es war mir egal.
»Ich war im Heim«, sagte sie. »Ich bin eben nach Hause gekommen.«
»Ich habe das Heim aufgesucht«, entgegnete ich. »Dort warst du nicht.«
»Dann war ich wahrscheinlich schon weg«, sagte sie. »Nicholas, was hat das alles zu bedeuten?« Sie gab sich überrascht und verärgert über meine Fragen, aber ihre Haltung war nicht ganz so gelassen und unschuldig, wie sie sich das vielleicht gewünscht hätte.
»Ich war um halb zwei dort«, sagte ich.
»Ah.« Sie tat, als überlegte sie. »Tja, ich weiß nicht, um welche Zeit ich gegangen bin, aber ich hatte noch etwas zu erledigen.«
»Was denn? Wo?«
»Ich mußte in Drury noch einen Stoff kaufen«, sagte sie. »Wirklich, Nicholas, hör endlich auf, mich anzubrüllen. Das ist ja das reinste Verhör! Bitte verlaß jetzt mein Ankleidezimmer.«
Ich blieb stehen, auf der Schwelle zur Anklage, die von den Spiegeln im Ankleidezimmer vierfach zurückgeworfen worden wäre. Vielleicht öffnete ich sogar den Mund. Einen langen Augenblick standen wir einander stumm gegenüber, Mann und Frau durch einen Abgrund des Schweigens getrennt. Würde sie mir gleich ihren Besuch in dem fremden Haus beichten? Würde ich ihr gleich gestehen, daß ich sie wohl eine Stunde lang durch ein Fenster beobachtet hatte, ohne mich bemerkbar zu machen? Fürchtete ich mich, etwas anzusprechen, was, einmal gesagt, nie wieder zurückgenommen werden konnte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß das Schweigen zwischen uns so tief war, daß keiner von uns zunächst Marys aufgeregte Rufe von unten bewußt wahrnahm.
»Mary ruft«, sagte Etna schließlich.
»Was?«
»Mary ruft.«
Ich ging zur Treppe. »Was ist denn, Mary?« rief ich hinunter. Ungeduldig.
»Das Auto, Sir, das Auto!« schrie Mary, wie eine Wahnsinnige mit den Armen wedelnd. »Es fährt von ganz allein rückwärts die Auffahrt runter.«
Ich sprang zum Fenster. Von dort aus konnte ich sehen, daß der Stevens-Duryea tatsächlich mit wachsender Geschwindigkeit die gekieste Auffahrt hinunterrollte. Das schlimmste aber war – und ich verstand jetzt Marys hysterisches Geschrei –, daß Clara im Auto saß und sich wie gelähmt an das hölzerne Lenkrad klammerte. Offenbar hatte ich in der Eile, Etna zur Rede zu stellen, den Motor des Wagens nicht abgestellt.
Ich rannte die Treppe hinunter und stürzte, den Namen meiner Tochter rufend, zur Haustür hinaus. Meine nassen Kleider behinderten mich beim Laufen, und ich bin, wie der Leser weiß, an sich schon kein sportlicher Mensch, aber es ist schon wahr, was man sagt, daß ein Vater, wenn er sein Kind in Gefahr sieht, wahre Wunder an körperlichem Einsatz vollbringen kann. Ich rannte dem davonrollenden Wagen die Auffahrt hinunter nach und schrie Clara dabei immer wieder zu, sie solle auf die Bremse treten – dabei konnte das arme Ding doch ein Bremspedal nicht von einem Schalthebel unterscheiden. Als ich das Fahrzeug endlich erreichte, umklammerte ich den Türrahmen und sprang auf das Trittbrett. Unter dem Schwung meiner Bewegung geriet der Wagen ins Schlingern. Ich fürchtete, die Räder würden in den Graben neben der Auffahrt rutschen, und das Auto würde umstürzen. Ich schrie Clara zu, sie solle zur Seite rücken. In ihrer Angst kroch sie zum Boden hinunter. Mit der Geschicklichkeit eines Schlangenmenschen bekam ich die Tür auf der Fahrerseite auf und warf mich hinter das Lenkrad. Nach mehreren Fußtritten zu den Pedalen hinunter gelang es mir endlich, den Stevens-Duryea anzuhalten, nur Zentimeter vor einer Steinmauer entfernt, die das Grundstück uns gegenüber umschloß.
Als ich keuchend aufblickte, sah ich, daß Nicky, Abigail und Mary aus dem Haus
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