Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
einer Ecke stand, hatte sich eine Pfütze gebildet.
Vielleicht eine halbe Stunde lang beobachtete ich so heimlich meine Frau, nur ab und zu warf ich einen Blick zur Straße, um mich zu vergewissern, daß nicht jemand vorbeikam und sich über diesen Menschen wunderte, der da in ein Fenster spähte. Während ich dort stand, nahm ich weitere Einzelheiten der Zimmereinrichtung wahr – ein kleines Spülbecken aus Porzellan, einen Kochherd, einen Schemel, auf dem ein Teller mit gelben Birnen stand –, aber es zog meinen Blick immer wieder zu dem weißen Leuchter, dessen Bild sich in den regennassen Fensterscheiben auflöste und neu formte. Ich dachte an die Rechnung für einen weißen Leuchter, die ich nichtsahnend geöffnet hatte, und an Etnas Behauptung, sie habe die Lampe zurückgeschickt. Weißes Eisen mit sechs Leuchtkerzen .
Etna stand auf und drehte sich in meine Richtung, als hätte sie mich ertappt. Aber sie nahm nur ein Stück Seidenstoff aus einem unverschnürten Paket auf einem Bord. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl.
Mit jeder Minute, die verstrich, wurde es schwerer vorstellbar, an Fenster oder Tür zu klopfen. Und es hatte, um hier die Wahrheit zu sagen, auch etwas Erregendes, meine Frau zu beobachten. Es war, als wäre ich ein Fremder, der einem Theaterstück zusah, dessen Sinn für sein Leben von alles entscheidender Bedeutung war. Meine Frau war nicht meine Frau, sondern eine von mir getrennte Person. Sie war nicht erreichbar für mich, ich konnte sie nicht rufen oder berühren. Sie existierte in einer anderen Welt.
Etna kniete auf dem Holzfußboden nieder und breitete vor sich das Stück Seidenstoff aus, dessen Ränder in der Fensterscheibe verschwammen. Sie steckte ein Schnittmuster aus Papier auf dem Stoff fest und begann, es auszuschneiden. Dann stand sie auf, trug das Kleidungsstück, das sie bereits fertig genäht hatte, zum Sofa und glättete es. Die Hände unter dem Kinn zusammengelegt, betrachtete sie es einen Moment (ich glaube, es war ein Nachthemd). Sie neigte den Kopf zur Seite, und ich stellte mir vor, daß sie ein wenig die Stirn runzelte, dann stemmte sie die Hände in die Hüften und schaute sich um. Sie hob die Stoffreste vom Boden auf und verstaute sie in einem Nähkorb.
Ich beobachtete, wie sie zum Herd ging, einen Kessel aufsetzte und Teekanne, Tasse und Untertasse aus einem Schrank nahm. Eine Zeitlang stand sie ruhig da und starrte durch ein kleines Fenster über dem Spülbecken hinaus (zum Glück nicht in meine Richtung), bis sogar ich das Pfeifen des Kessels hörte. Sie gab Tee in die Kanne und trat zu einem anderen Schrank. Sie nahm einen Schreibkasten heraus und stellte ihn auf den Tisch. Sie ließ den Tee eine Weile ziehen. Dann goß sie sich eine Tasse ein und stellte diese auf den Tisch neben das Schreibzeug. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß der Tisch wackelte. Sie nahm einen Federhalter, eine Tintenflasche und ein Blatt Papier aus dem Kasten und begann zu schreiben. Ab und zu hielt sie inne, um einen Schluck Tee zu trinken.
Das alles waren ganz alltägliche Handlungen, denen ich keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wäre Etna zu Hause gewesen. Aber sie durch das Fenster dieses fremden Hauses zu beobachten, das war etwas ganz anderes. Ich spürte eine Art Faszination neben dem unaufhörlichen Hämmern der zentralen Frage: Was hat meine Frau in diesem Haus zu tun?
Wie lange ich so an dem Fenster stand, während mir der Regen den Nacken hinunterrann und die Rückseite meiner Hose durchnäßte, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich stand still und lautlos.
Nach einer Weile legte Etna den Federhalter nieder und räumte das Schreibzeug weg. Sie spülte Tasse, Untertasse und Teekanne im Becken. Sie schüttelte das Wasser von der Tasse, trocknete sie mit einem Tuch und stellte sie wieder in den Schrank. Sie schüttelte auch ihre Hände aus und wischte sie mit dem feuchten Tuch ab. Sie sah sich kurz im Zimmer um und ging zum Sofa. Als sie die Arme in ihren Mantel schob, lief ich um die Ecke, um von ihr nicht gesehen zu werden. Ich hörte sie herauskommen, hörte die Tür zweimal zuschlagen, als hätte sie beim erstenmal nicht richtig geschlossen. Einige Minuten später startete ein Motor.
Ich rutschte an der Holzschindelwand zum Boden hinunter, meine Beine waren plötzlich ohne Kraft.
Ich war fassungslos. Warum sollte meine Frau, Etna Bliss Van Tassel, mit ihrem Auto nach Drury, New Hampshire, fahren, um sich in ein fremdes Haus zu setzen und zu
Weitere Kostenlose Bücher