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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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selbstsicher und gelassen, als ich an die Haustür klopfte. Ein Butler öffnete mir (ja, ein echter Butler in Thrupp, New Hampshire, aber bitte), nahm mir Mantel, Hut und Handschuhe ab und sagte, Mr. Ferald erwarte mich.
    Ich folgte ihm ein gutes Stück Wegs zu einer imposanten zweiflügeligen Tür, die mir von meinem letzten Besuch im Haus nicht in Erinnerung war; die Porzellanklinken waren beinahe in Kinnhöhe angebracht. Der Butler ließ mich in einen großen, gut beleuchteten Raum treten, in dessen Mitte ein glänzender ovaler Tisch stand. Er bat mich, an dem Tisch Platz zu nehmen, und ich folgte der Aufforderung.
    Ich faltete die Hände und wartete, nachdem der Butler mir versichert hatte, Mr. Ferald werde gleich kommen. An den Wänden rund um mich herum waren Bücherregale, die bis zu einer ebenfalls mit Büchern ausgestatteten Galerie hinaufreichten. (Dabei liest der Mensch nicht einmal, dachte ich.) Dank der, wie die tiefen Fensternischen zeigten, kräftigen Mauern des Hauses und der dicken Teppiche war es so still im Zimmer, daß ich die Uhr in meiner Tasche ticken hörte.
    Während ich wartete – eine Ewigkeit, wie mir schien –, sah ich immer wieder auf die besagte Uhr. Zehn nach neun. Zwanzig nach neun. Wenn Ferald nicht bald erscheint, dachte ich, komme ich zu spät zu meinem Seminar. Macht nichts, tröstete ich mich; da wäre ich schon der neue Vorstand, und bald müßte ich überhaupt nicht mehr unterrichten – eine herrliche Vorstellung, gelinde gesagt.
    Punkt halb zehn sprang die schwere Flügeltür auf. Edward Ferald trat ein, mit gepflegtem Spitzbart, im moosgrünen Jackett. Unter dem Arm trug er einen abgegriffenen alten Ordner von der Art, wie wir sie Jahre früher im College benutzt hatten. Ich stand auf, aber er bedeutete mir, wieder Platz zu nehmen. Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
    »Ich habe Sie heute hergebeten«, begann er (ohne ein Wort der Begrüßung; der Mann hatte überhaupt keine Manieren), »weil ich eine Kleinigkeit mit Ihnen besprechen möchte, die mir zur Kenntnis gelangt ist.«
    »Was für eine Kleinigkeit?« fragte ich. Es waren meine ersten Worte bei dieser Begegnung.
    Ferald warf einen Blick in den Ordner. »Noah Fitch führte über jeden Dozenten, der ihm direkt unterstellt war, als er den Hitchcock-Lehrstuhl innehatte, eine Akte«, sagte er. »Ich hielt es für angebracht, mir im Archiv die Ihre herauszusuchen, da wir Sie ja für den Posten des Collegevorstands in Betracht ziehen.«
    »War das nötig?« fragte ich und merkte plötzlich, daß meine Oberlippe feucht war. Warum mußte es in diesem Zimmer so warm sein? Ich brauchte mein Taschentuch, aber nicht um alles würde ich es vor Feralds Augen herausholen.
    »Bei der Durchsicht Ihrer Akte«, erklärte Ferald, »mußte ich feststellen, daß es da – wie soll ich es ausdrücken? –, daß es da eine etwas beunruhigende Anmerkung gibt.«
    »Ja?«
    »Es scheint da einen Plagiatsverdacht gegeben zu haben.« Ferald sprach das Wort mit demonstrativem Abscheu aus. »Im Zusammenhang mit einer Monographie über die frühen Romane Sir Walter Scotts«, fuhr er fort. »Sagt Ihnen das etwas?«
    Die Feuchtigkeit, die ich zuerst nur auf meiner Oberlippe wahrgenommen hatte, brach mir jetzt aus allen Poren, selbst auf meinem kahlen Scheitel spürte ich sie. »Wohl kaum«, sagte ich.
    Ich hatte jetzt gar keine Wahl mehr, ich mußte mein Taschentuch ziehen und mir Gesicht, Hals und Kopf abtupfen. Ferald lächelte geduldig und wartete, bis ich das durchfeuchtete Tuch wieder eingesteckt hatte, bevor er zu sprechen fortfuhr.
    »Aber Noah Fitch hat sich doch damals mit Ihnen über Ihre Arbeit unterhalten?«
    »Das kann gut sein«, antwortete ich. »Man kann von mir nicht erwarten, daß ich mich an ein Gespräch erinnere, das … wann sagten Sie, soll es stattgefunden haben?«
    »Im März 1900.«
    »… das vor vierzehn Jahren stattgefunden hat.«
    »Trotzdem.« Ferald hielt inne. »Es geht um den Vorwurf des Plagiats, das ist eine äußerst ernste Angelegenheit.«
    »Ich glaube, Noah Fitch entschuldigte sich damals bei mir dafür, daß er die Sache zur Sprache gebracht hatte«, sagte ich. »Ja, ich bin ganz sicher, daß es so war.«
    »Dann erinnern Sie sich also doch an das Gespräch«, sagte Ferald.
    »Möglich.« Ich winkte ab, als wollte ich die Sache beenden.
    Ferald goß sich aus der Karaffe, die auf dem Tisch stand, Wasser ein und trank. Er hatte schmale Lippen und eine spitze Zunge, die ins Glas vorstieß.

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