Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
wenn auch schwachen, feuchten Glanz. »Ich habe ein Gemälde geerbt«, sagte sie.
»Es gab also doch ein Gemälde?«
»Ja.«
»Du hast mich belogen.«
»Wie hast du mich gefunden?« fragte sie.
»Ich bin dir gefolgt«, erklärte ich. »Gestern.« Ich warf meinen Hut irgendwohin. »Ich habe nie einen Claude Legny gesehen.«
»Er war im Haus meiner Schwester auf dem Speicher«, sagte Etna. »Sie hat mir das Bild letztes Jahr auf meine Bitte hin mitgebracht.«
»Letztes Jahr? Wie lang hast du dieses Haus schon?«
»Seit Januar.«
Ich versuchte zu denken. Seit elf Monaten! »Und seitdem kommst du regelmäßig hierher?«
Sie antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Die häusliche Atmosphäre und der gepflegte kleine Garten neben dem Häuschen waren Antwort genug. Sie war im Winter hierhergekommen, als das Haus mitten im Schnee lag, und im Frühjahr, um neben dem Haus Phlox anzupflanzen. Sie war den ganzen Sommer über hier gewesen und im Frühherbst, während ich unter dem feurigen Laubdach der Wheelock Street zum College marschiert war. Wußten die Kinder von dem Haus? Hatten sie es schon einmal besucht?
Ich ging tiefer in das Zimmer hinein, das vielleicht sechs Meter lang und neun Meter breit war, und dabei fielen mir Dinge auf, die ich am Tag zuvor nicht gesehen hatte: eine Schneiderbüste; ein mit Büchern gefülltes Regal unter einem Fenster; ein Chinagrassessel. Unter dem Leuchter lag ein kleiner Perserteppich. Ein Bereich bei der Küche hatte einen Linoleumboden. Auf dem Bord über dem Spülbecken stand ein Glas mit Zucker.
Ich sah zur Zimmerdecke hinauf. »Den Leuchter gibt es also doch«, sagte ich. »Da hast du mich auch belogen. An dem Tag, als die Rechnung kam.«
Etna umfaßte die Stuhllehne noch fester.
»Du bist meine Frau.«
»Ich bin dir eine gute Frau«, sagte sie.
»Eine gute Frau mit einem Geheimnis.«
Sie bückte sich, um die Scherben der zerbrochenen Untertasse aufzuheben. »Durch das dir nicht geschadet wurde«, sagte sie.
»Nicht geschadet?« wiederholte ich ungläubig. »Nicht geschadet ?«
Mit den Porzellanscherben in der Hand richtete sie sich auf.
»Was tust du hier?« fragte ich mit einer Geste, die den ganzen Raum umfaßte.
»Ich …« Sie blickte sich um. »Ich lese. Ich nähe. Ich schreibe.«
»Weiß jemand davon?«
»Nein.«
»Empfängst du hier jemanden? Einen Liebhaber?«
»Nein«, sagte sie wieder, schockiert, wie es schien, über die Unterstellung. »Natürlich nicht.«
Ich drückte eine Hand auf die Stirn, als könnte mir das beim Denken helfen. »Wie soll ich noch irgend etwas glauben, was du sagst?«
Aber ich glaubte ihr. Ich war überzeugt – und bin es noch heute –, daß sie mir die Wahrheit sagte. Und die Tatsache, daß die Wahrheit ans Licht gekommen war, wirkte auf sie so befreiend und erleichternd wie ein plötzlicher Tränenausbruch.
»Du hast mich«, sagte Etna leise. »Du hast die Kinder. Ich habe dir ein Zuhause gegeben. Ich bin dir treu gewesen. Ich habe meine Pflicht getan.«
»Und bist kalt geblieben«, sagte ich.
»Das ist wahr. Und ich habe dir gesagt, wie leid mir das tut. Aber das hat mit dem hier nichts zu tun.«
Ich trat zu dem Apothekerschrank und berührte den weißen Kuchenkasten. Etna holte hastig Luft.
»Wenn du mich beim Frühstück um Geld gebeten hast, dann hierfür?« fragte ich.
»Ich hatte Geld aus dem Verkauf des Bildes.« Sie legte die Scherben der Untertasse auf das Abtropfbrett neben dem Spülbecken. »Es war mehr wert, als ich für möglich gehalten hatte.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte ich.
»Es ist mein Preis«, sagte sie ruhig.
»Dein was?« Ich wollte meinen Ohren nicht trauen.
Sie hob den Kopf. »Mein Preis«, sagte sie.
»Wofür? Ich kenne keine andere Ehefrau, die einen Preis verlangt.«
»Kann sein, daß sie das nicht tun«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Ist die Ehe mit Nicholas Van Tassel eine solche Qual, daß du einen Preis dafür verlangen mußt?« fragte ich. »Ist sie so entsetzlich, daß du ein Versteck brauchst.«
»Ich verstecke mich nicht«, entgegnete sie.
»Warum hast du dann deinem Mann nichts von diesem Haus gesagt?«
»Weil es dann nicht mehr meins gewesen wäre«, antwortete sie.
»Ich verstehe deine Logik nicht, Etna.«
Ich verstand sie wirklich nicht. Bei einem Mann hätte ich es vielleicht verstanden, wenn er sich eine Zweitwohnung gehalten hätte. Eine Wohnung für seine Mätresse vielleicht. Man mochte so etwas nicht verzeihen, aber man konnte es immerhin
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