Alles, was ist: Roman (German Edition)
dem Nil zu Abend essen, mit Blick auf die Pyramiden. Sie hätte einen erfolgreicheren Mann heiraten sollen, einen Industriemagnaten. Ich hätte es zu mehr bringen sollen. Sie war eine so wunderbare Frau. Ich kann es gar nicht sagen. Das sollte man wohl auch nicht. Du bist immer viel gereist, du hattest Glück. Ich erinnere mich an diese Frau aus England. Was ist aus ihr geworden?«
»Sie ist in London«, sagte Bowman. »In Hampstead.«
»Ach, ich weiß nicht mal, wo das ist. Hampstead. Wahrscheinlich irgendein wunderbarer Ort mit weiten Rasenflächen und Frauen in langen Abendkleidern. Weißt du, dass ich sie nie kennengelernt habe – ich meine, du hast mir von ihr erzählt, aber ich hab sie nie gesehen. Wunderschöne Frau, nehm ich an. Du siehst auch immer noch gut aus. Mistkerl. War sie groß? Ich erinnere mich nicht. Ich mag große Frauen. Irene ist nicht sehr groß. Ich denke, daraus wird auch nichts mehr. Das wäre zu viel verlangt. Sollen wir noch eine Flasche von dem warmen Wein nehmen? Nein, das wär vielleicht zu viel. Warum nehmen wir nicht noch einen an der Bar?«
Sie hatten oft an der Bar gestanden, als sie noch neu im Club waren und Eddins so wunderbar gesellig. Er war immer noch gesellig und sogar noch besser gekleidet. Er richtete den Knoten seiner Krawatte, als sie zur Bar hinübergingen.
»Was ist mit Christine?«, sagte er. »Wie geht es ihr?«
»Was meinst du mit wie geht es ihr?«
»Nichts. Nur so. Ich hab sie lang nicht mehr gesehen. Sie lebt jetzt auf dem Land? Du hast sie ausquartiert?«
»In Sicherheit gebracht.«
»Du Schuft. Hast du dir nie überlegt, sesshaft zu werden?«
»Niemand ist sesshafter als ich.«
»Zu heiraten«, erklärte Eddins.
»Es gibt nichts, was ich lieber täte.«
»Ich erinnere mich an deine letzte Hochzeit, ich meine deine erste. Was ist eigentlich aus diesem sinnlichen Mädchen geworden, das eine Affäre mit deinem reichen Schwiegervater hatte?«
»Er ist gestorben.«
»Er ist gestorben? So wild ging das her?«
»Nein, nein, das hatte nichts damit zu tun. Er war wieder verheiratet, glücklich verheiratet. Das alles ist so lange her, Jahrhunderte, so kommt es mir vor. Die Leute hatten damals noch Familiensilber.«
»Ich würde mir gerne vorstellen, das Mädchen damals, dass sie nicht älter geworden ist. Was ist nur aus ihr geworden? Was treibt sie momentan wohl so?«
»Ich hab wirklich keine Ahnung. Vivian könnte es wissen.«
»Vivian sah auch ganz schön gut aus.«
»Ja, das stimmt.«
»Frauen haben einfach so etwas an sich. Du weißt, sie lassen sie hier jetzt als Mitglieder zu, was hältst du davon? Wahrscheinlich aber nicht die Hübschen, nur die, denen man auf Partys aus dem Weg geht. Wir sind mitten in diesem Frauending. Es geht nur noch um Gleichberechtigung, bei der Arbeit, in der Ehe, überall. Sie wollen nicht begehrt werden, außer es passt ihnen gerade.«
»Ungeheuerlich.«
»Die Sache ist die, sie wollen ein Leben wie wir. Und nicht mal wir können ein Leben wie wir haben. Der alte Herr ist also gestorben? Dein Schwiegervater.«
»Er und auch mein Vater.«
»Das tut mir leid. Meiner ist auch gestorben. Erst jetzt, letztes Frühjahr. Es ging ganz plötzlich, ich hab es nicht mehr rechtzeitig hingeschafft. Ich komme aus einem kleinen Ort, eine geachtete Familie. Bei uns kannte man den Arzt, den Bankdirektor. Wenn man den Arzt rief, ganz gleich um welche Uhrzeit, selbst mitten in der Nacht, kam er zu einem nach Hause. Er kannte einen. Er kannte die ganze Familie. Er hat einen schon an den Füßen gehalten, als man den ersten Schrei von sich gab. Anstand, danach lebte man. Loyalität. Ich fühl mich dem sehr verbunden, der Kindheit, dem alten Süden. Man muss Dingen die Treue halten. Ohne Treue ist man allein auf der Welt. Ich habe wunderbare Fotos von meinem Vater in seiner Infanterieuniform, mit einer Zigarette im Mund. Ich weiß nicht, wo es aufgenommen wurde. Die Fotografie ist schon etwas Gewaltiges. Auf dem Foto ist er noch lebendig.«
Er machte eine Pause, als wollte er darüber nachdenken oder die Seite umblättern.
»Ich hab die Filmrechte von dem einen Buch verkauft«, sagte er. »Eine hübsche Summe, aber was für Schakale das sind. Geradezu unwürdig. Die haben einfach zu viel Geld, wirklich ohne Ende. Ich hatte einen Autoren, Boyd. Früher war er mal Prediger. Der konnte wirklich schreiben. Ich hab seine Geschichten nicht verkaufen können. Wirklich eine Schande. Er hat eine Geschichte geschrieben, die werd ich nie
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