Alles - worum es geht (German Edition)
häufiger gemacht. Das ist auch eine Methode, damit die Zeit vergeht, die Stunden und Minuten, bis alles wieder so ist wie früher und ich dieses komische Ziehen im Kreuz vergessen kann, das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Was das sein könnte, weiß ich selber nicht. Meine Mutter liegt im Krankenhaus, das weiß ich schon lange, auch wenn ich so tue, als wäre das nicht so. Anfangs war sie nur gelegentlich in der Klinik, wenn ihr alles zu viel wurde, wie mein Vater sagte. Dieses Mal ist sie schon lange da, und ich bin mir nicht sicher, ob sie noch einmal zurückkommt. Mein Vater behauptet das, auch wenn sie uns nicht immer erkennt, wenn wir sie sonntags besuchen. Das kommt von der Medizin, sagen die Ärzte, die macht irgendwas mit den Köpfen der Leute, und der Kopf meiner Mutter hat ja auch vorher schon nicht so gut funktioniert. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, deshalb tue ich einfach so, als wäre alles wie immer. Dabei passe ich auf, dass alles auch wirklich so aussieht, damit weder die Zwillinge noch sonst jemand auf die Idee kommen, irgendwas könnte nicht stimmen. Ich mache alles so, wie es sein soll. Die drei Male, die ich meinen Vater gefragt habe, hat er nicht geantwortet. Oder er hat gesagt, er habe Besorgungen machen müssen, aber die Batterien, Kneifzangen oder Ladegeräte, die er angeblich gekauft hatte, habe ich nie gefunden. Also habe ich aufgehört zu fragen.
Auch nicht danach, wieso er von rechts gekommen ist, aus der Elm Street, und nicht von links, von der Jackson Hill, so wie sonst.
Die Tankstelle in unserem Ort zu verwalten hat den Vorteil, dass der Weg dahin kurz ist. Mein Vater findet nicht, dass er einen großartigen Job hat, und das stimmt vielleicht auch, aber er kann gut mit Leuten umgehen, sie mögen ihn und geben ihm großzügig Trinkgeld. Sein Job ist vielleicht nicht so toll wie der meiner Mutter, also der, den sie hatte, bevor sie immer wieder in die Klinik musste, aber trotzdem ist es eine ausgezeichnete und sehr wichtige Arbeit. Die Leute brauchen schließlich Benzin, sonst stünden alle Autos still. Die festen Arbeitszeiten sind ein weiterer Vorteil. Oder auch Nachteil. Diese Woche bin ich den Weg dreimal abgeradelt, aber selbst wenn ich extrem langsam fahre, brauche ich höchstens siebzehn Minuten. Die Lincoln Avenue ein gutes Stück hinunter bis zur Ecke Kennedy Road, dann links ab in die Jackson Hill Street und weiter oben am Hang links in die Chestnut Road, in der wir in einem blauen Haus wohnen. Selbst wenn man einen Umweg macht und von der Jackson Hill in die Elm Street einbiegt, die sich den Hang hinaufwindet, braucht man höchstens vier Minuten länger, was also auch keine Erklärung wäre. Und warum sollte man überhaupt diesen Umweg machen?
Als ich ihn ein paar Tage später dann doch frage, sagt er nur, dass er zwischendurch gerne eine andere Strecke fährt. Um mal was Neues zu sehen.
Als ich selbst anfange, die Elm Street entlangzufahren, fällt mir zum ersten Mal das Backsteinhaus mit dem gelben Licht auf. Ich bin sogar ein paarmal daran vorbeigefahren, bevor ich es überhaupt bemerkt habe. Zuerst ist mir nur aufgefallen, wie rissig der Asphalt in dieser Gegend ist, wie baufällig die Häuser wirken, wie unordentlich die meisten der Vorgärten aussehen: kaputte Autos teilen sich den Platz in der Garage mit abgefahrenen Reifen, rostigen Fahrrädern, halb zerlegten Mopeds und Kinderwagen, an denen die Räder fehlen. Erst im Oktober, als die Tage kühler und dunkler werden, fällt es mir auf. Eigentlich ist das Licht gar nicht richtig gelb, eher so ein mattes Gelbgrau, als wäre die Birne zu schwach. Das Haus aus rotem Backstein ist alt und liegt zurückgezogen am anderen Ende des Gartens. Auf einer Veranda stehen ein paar alte Korbstühle. Sonst ist nichts zu sehen, außer einer niedrigen Hecke und einem sehr aggressiven Hund, der an einer Kette liegt. Und dem schwachen graugelben Licht. Das ist alles. Es gibt auch deshalb nichts zu sehen, weil alles immer gleich aussieht. Aber genau das ist es, weswegen mir das Haus auffällt. Bei den anderen Häusern in der Gegend ist mal das Gartentor nur angelehnt, die Fenster stehen offen, die Vogeltränken im Garten sind umgekippt, die Fahrräder stehen an anderer Stelle, oder Teppiche hängen zum Lüften über einer Stange. Entweder brennt in den Häusern Licht, dann scheint es ganz hell selbst durch dichte Gardinen hindurch, oder es ist absolut dunkel. In dem roten Backsteinhaus hingegen: gar nichts. Die Gardinen
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