Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles - worum es geht (German Edition)

Alles - worum es geht (German Edition)

Titel: Alles - worum es geht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
Vom Netzwerk:
kitzelnden Rillen.
    Jetzt bin ich an der Reihe. Schnell stecke ich das Päckchen in die Tasche, straffe den Rücken, halte mich am Geländer fest und klettere in den Bus, ohne nach der Hand zu greifen, die mein Vater mir hinhält.

Gelbes Licht
    Sie arbeiten in Schuhfabriken, auf Erdbeerfeldern oder Fischerbooten, in Hotels, Restaurants und in Haushalten. Sie brennen Ziegel in Indien, pflücken Tomaten in Florida, nähen Kleider für teure Marken in Argentinien, bauen in China Mobiltelefone zusammen oder sind Hausmädchen in London, Paris, überall. Das haben sie auf CNN gesagt. Schlachthöfe, Kleiderfabriken, Reedereien … kein Ort ist davor sicher, kein Mensch geschützt. Ich versteh das nicht: Sklaverei, das gab es doch im alten Ägypten, wie hätten die sonst die Pyramiden gebaut? Dann waren da natürlich noch die Sklaven in den Kolonien, Baumwollfeld an Baumwollfeld. Zucker. Tabak. Die neue Welt. The Americas. Aber das ist alles unendlich lange her. Noch vor der Zeit meiner Großeltern war das, ja sogar vor der meiner Urgroßeltern. Mit uns hat das alles nichts mehr zu tun. Wer heute mitbekommt, dass jemand als Sklave gehalten wird, muss ja nur bei der Polizei anrufen und sagen: »Hallo – mein Nachbar Mr. Soundso hat einen Sklaven, der bei ihm sauber macht und alles.« Dann kommt die Polizei, befreit den Sklaven, und das war’s. Wenn doch die Journalisten so viel darüber wissen, wieso stoppen sie die Sache nicht? Dass jemand als Sexsklave gehalten wird, ist noch unfassbarer, denn die kommen doch naturgemäß ständig mit Menschen zusammen, die ihnen helfen könnten, oder?
    Nein, ein Mensch kann einen anderen nicht besitzen. So einfach ist das.
    Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, gleich darauf höre ich die Schritte meines Vaters im Flur. Ich schalte den Fernseher aus. Mein Vater kann deprimierende Geschichten nicht ertragen, und Nachrichtensendungen sind immer deprimierend. Er kümmert sich um uns. Ja, ich habe noch einen kleinen Bruder und auch eine Schwester. Sie sind Zwillinge. Es ist nicht so, als wäre meine Mutter nicht für uns da, aber sie hat noch zwei Elektronikgeschäfte, um die sie sich kümmern muss. Die sind jeden Abend bis zehn geöffnet, weil die Konkurrenz so groß ist. Deshalb sehen wir unsere Mutter meist nur am Wochenende. Sonntags. Unter der Woche ist mein Vater derjenige, der hereinkommt und die Einkäufe in die Küche bringt.
    Lammkoteletts und Kartoffelbrei soll es heute Abend geben. Mein Vater ist ein guter Koch.
    Meine Mutter kommt immer erst nach Hause, wenn wir schon im Bett liegen, sogar ich, obwohl ich schon fünfzehn bin. Das ist ein gutes Alter. Mein Großvater hat angeblich in dem Alter die Schule und sein Zuhause verlassen. Ab da sei er ein Mann gewesen. Mit gerade mal siebzehn habe er seine eigene Reinigungsfirma gegründet, die mein Vater später auf keinen Fall übernehmen wollte. Aber auch das war eine andere Zeit. Mein Großvater lebt nicht mehr, die Firma läuft unter einem anderen Namen, sie ist jetzt eine Aktiengesellschaft, die ganz anderen Leuten gehört, vielleicht sogar solchen in einem anderen Land. Ich dagegen gehe noch zur Schule, mein Vater fängt morgens früh an und kommt nachmittags zeitig nach Hause. Das ist gut so.
    »Heute Abend gehe ich mit Kevin ins Kino«, sage ich zu meinem Vater, und es ist okay. Für meinen Vater ist immer alles okay, solange es für mich okay ist.
    Meine Mutter hat keine Meinung zu diesen Dingen, zumindest äußert sie sie nicht laut. Vielleicht hat sie auch nur keine Zeit, etwas dazu zu sagen. Es gibt auch nicht viel zu sagen, ich komme in der Schule gut mit, erledige die Einkäufe, sorge morgens dafür, dass die Zwillinge aufstehen, bringe sie zur Schule und hole sie nachmittags ab und passe auf sie auf, bis mein Vater kommt. Deswegen sagt auch nie einer was, und ich kann ansonsten machen, was ich will. Dazu gehört, dass ich darauf achte, wann mein Vater nach Hause kommt.
    Heute Abend bin ich derjenige, der spät nach Hause kommt, Kevin und ich waren nämlich nach dem Kino noch Nachos essen. Ganz leise schließe ich die Tür auf, schleiche mich hinein und hoffe, dass niemand die knarrenden Dielen hört. Aber ich weiß, es ist okay. Meine Mutter ist schlafen gegangen, aber selbst wenn sie mich gehört hat, wird mein Vater ihr sagen, dass es schon okay ist. Ich weiß nicht, wieso immer alles okay ist, aber so ist es. Ich schlafe schnell ein und schlafe tief und fest, doch als ich wieder aufwache, ist es erst drei, und ich

Weitere Kostenlose Bücher