Alles - worum es geht (German Edition)
ist Alles gelungen. Bei Essays ist es anders. In Essays muss in den Zeilen stehen, was man sagen will, und das kann ich nicht. Also versuche ich so zu tun als ob, indem ich so tue, als ob ich so tue als ob, und vielleicht kann sich etwas vom Alles dennoch einschleichen und die Lücke zwischen den Zeilen füllen. Ich weiß nicht, ob es gelingt. Normalerweise schreibe ich nie auf diese Weise, schreibe nie über mich und schon gar nicht über Alles. Wie kann man über Alles schreiben, wenn doch Alles ist, der schreibt?
Ich nehme wieder Kontakt auf. Hatte ganz vergessen, dass er unterbrochen war, aber das war ein Glück. In fünfundvierzig Minuten habe ich genau drei Seiten geschrieben und die können kaum schlechter sein als die von vorher. Ich lege die vier und die drei Seiten zusammen und lese sie am Stück. Dann beschließe ich, das Ganze wegzuwerfen. Gerade als ich die Seiten in den Papierkorb werfe, klingelt das Telefon. Was hast du jetzt wieder gemacht? Ich komme rüber. Ich sitze in meinem Jogginganzug auf dem Sofa, als er kommt. Er hat es unterwegs gelesen und sagt, ich müsse wahnsinnig sein. Daran ist doch nichts verkehrt. Nur der Schluss fehlt. Aus purer Freude nehme ich ein Bad und ziehe mich an. Langes Kleid und hohe Stiefel, mein Körper erinnert sich plötzlich ans Frausein. Dann gehen wir über die Knippelsbro und in die Dunkelheit hinein. Mir ist wieder eingefallen, dass ich Hunger habe.
Der Überziehungskredit. Ich bin fertig, wenn ich fertig bin. Aber wie erkläre ich das meinem Bankberater? Ich werde nervös, wenn ich nur daran denke, und ich beschließe, nicht daran zu denken. Ich kann nicht schneller schreiben, als ich schreibe. Nein, das stimmt nicht. Ich kann nicht schneller schreiben, als Alles es will. Und dazu gehören ein Anfang und ein Ende, und selbst wenn ich angefangen habe, weiß ich selten, wo das Ende ist, und auch wenn ich das Ende gefunden habe, muss ich wieder von vorn beginnen, und zwar immer wieder, und ich weiß nie, wie oft. Nur ein Mal noch, denke ich immer, dasselbe hatte ich das letzte Mal auch schon geglaubt, deswegen habe ich aufgehört, irgendwas zu glauben. Ein Mal noch. Immer gibt es ein Wort, einen Satz, einen Abschnitt, die aus allem herausfallen. Etwas klingt falsch, mischt sich in Alles ein. Kommata sind ein Problem. Nicht sklavisch den grammatikalischen Regeln zu folgen, sondern herauszufinden, welche Art Komma zu welcher Art Text passt. Jetzt habe ich meins gefunden, ein Komma für Alles, das bestimmt gegen alle Regeln verstößt. Da kann man nichts machen. So ist es und so bleibt es.
Das Traurige daran, Alles in die Wirklichkeit zu entlassen, ist, dass die meisten anscheinend aufgehört haben, nach Alles zu suchen. Jedenfalls wenn Fernsehen und Meinungsumfragen recht haben. Unterhaltung, Unterhaltung, unbegründete Meinungen und noch mehr Unterhaltung. Und dazu ein kleines bisschen Wer, Was, Wo. Im So-tun-als-ob. Kein Alles. Literatur ist zu einem anderen Wort für Haarspray geworden. Etwas, das außen draufkommt. Etwas, um sich damit aufzubauen, wenn einem nichts mehr einfällt. Wenn ich glaubte, dass das stimmte, würde ich nicht aufhören zu schreiben. Ich würde aufhören zu publizieren. Aber tief drinnen im Alles besteht kein Zweifel daran, dass die meisten genau wissen, dass die Welt anders ist. Kein Zweifel, dass die meisten danach suchen, nach Alles, und wie Alles zusammenhängt oder nicht zusammenhängt, sondern einfach ist. In der Wirklichkeit. Nur wissen nicht alle, wo sie suchen sollen, und es ist auch schwierig in einer Zeit, wo es viel zu viele Orte zum Suchen gibt. Ich habe nur mein eigenes Alles weiterzugeben, und das tue ich. So gut ich kann.
Früher Morgen und Schneewetter. Halb sechs, und Alles wartet auf meinem Schreibtisch. Das Notebook ist hochgefahren, lange bevor der Kaffee fertig ist. Einen Roman zu schreiben kann sehr lange dauern. Jahre eines Lebens in der Stimme eines Alles verbracht. Das, glaube ich, macht Romane lesenswert. In Essays stecken Wochen, höchstens Monate. Vielleicht sind sie trotzdem lesenswert. Das wird ein guter Tag.
Alles weiß, wann Alles fertig ist. Ich weiß es nie. Zufriedenheit gibt es nicht. Nur kommt ein Zeitpunkt, wo nicht mehr sicher ist, ob Alles besser oder schlechter wird, wenn ich es weiter ändere. Also bleibt mir nichts übrig, als abzuliefern. Abliefern, das bedeutet tausend Nadelstiche, und ich bin kein Fakir. Abliefern bedeutet auch tausendfaches Glück , größeres gibt es nicht. Das stimmt
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