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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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selbst im Klan Achtung, weil er auf leisen Sohlen über die Riten ging. Er freundete sich mit mehreren großen Männern des Klans an, und auf einer seiner häufigen Runden durch die Dörfer war ihm ein geschnitzter Elefantenzahn überreicht worden, ein Zeichen von Rang und Würde. Einer der großen Männer jenes Nachbardorfs hieß Akunna [139]   , und dieser gab einen seiner Söhne in die Obhut von Mr Browns Schule, damit er das Wissen des weißen Mannes erwerbe.
    Wann immer Mr Brown in jenem Dorf zu Besuch war, brachte er lange Stunden in Akunnas obi zu und unterhielt sich mit ihm mittels eines Dolmetschers über den Glauben. Keinem gelang es, den anderen zu bekehren, aber sie lernten viel über ihre jeweiligen Überzeugungen.
    »Du sagst, es gibt einen höchsten Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat«, begann Akunna anlässlich eines von Mr Browns Besuchen. »Wir glauben auch an Ihn, wir nennen Ihn Chukwu. Er hat die ganze Welt und alle anderen Götter erschaffen.«
    »Es gibt keine anderen Götter«, entgegnete Mr Brown. »Chukwu ist der einzige Gott, alle anderen sind falsche Götter. Du schnitzt ein Stück Holz – wie jenes …«– er deutete auf die Ablage, an der Akunnas ikenga [140]   hing – »… und du nennst es eine Gottheit. Aber es ist und bleibt ein Stück Holz.«
    »Schon«, sagte Akunna. »Es ist in der Tat ein Stück Holz. Der Baum, von dem es stammt, wurde von Chukwu erschaffen, ebenso wie alle geringeren Götter. Doch hat er sie als Seine Boten erschaffen, damit wir Ihn durch sie erreichen. Es ist wie bei dir. Du bist das Oberhaupt deiner Kirche.«
    »Aber nein«, wandte Mr Brown ein, »das Oberhaupt meiner Kirche ist Gott selbst.«
    »Ich weiß wohl«, sagte Akunna, »aber es muss in dieser Welt, unter den Menschen, ein Haupt geben. Jemand wie du muss hier Haupt sein.«
    »Das Oberhaupt meiner Kirche in dem Sinne, den du meinst, ist in England.«
    »Das sage ich doch. Das Oberhaupt deiner Kirche ist in deinem Land. Es hat dich als Boten hierher gesandt. Und du wiederum hast selbst Boten und Diener ernannt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: den District Commissioner. Er ist von deinem König gesandt.«
    »Wir haben eine Königin«, mischte sich der Dolmetscher ein.
    »Deine Königin also entsendet ihren Boten, den District Commissioner. Er stellt fest, dass er die Arbeit nicht allein bewältigen kann, also ernennt er kotma , die ihm helfen. Genauso ist es mit Gott, oder Chukwu. Er ernennt die kleineren Götter zu Gehilfen, weil die Arbeit zu viel ist für eine Person.«
    »Du darfst Ihn dir nicht als Person vorstellen«, entgegnete Mr Brown. »Nur, weil du Ihn dir so denkst, stellst du dir vor, Er brauche Helfer. Und das Schlimme daran ist, dass du alle deine Huldigung den falschen Göttern zukommen lässt, die du erschaffen hast.«
    »Dem ist nicht so. Wir opfern den kleinen Göttern, aber wenn sie uns im Stich lassen und es niemanden mehr gibt, wenden wir uns Chukwu zu. So ist es recht. Wir nähern uns dem großen Mann durch seine Diener. Wenn aber seine Diener uns nicht helfen, dann gehen wir zu unserer letzten Hoffnung. Wir scheinen den kleinen Göttern größere Beachtung zu schenken, aber dem ist nicht so. Wir bedrängen sie mehr, weil wir ihren Herrn nicht behelligen wollen. Unsere Väter wussten noch genau, dass Chukwu der Herr der Herren ist, deshalb gaben sie ihren Kindern häufig den Namen Chukwuka – Chukwu ist der Höchste.«
    »Eines ist interessant an dem, was du sagst«, bemerkte Mr Brown. »Du fürchtest Chukwu. In meinem Glauben ist Chukwu ein liebender Vater, den niemand fürchten muss, der Seinen Willen tut.«
    »Doch wir müssen Ihn fürchten, wenn wir nicht Seinen Willen tun?«, schloss Akunna. »Und wer kann sagen, was Sein Wille ist? Er ist zu groß, als dass wir ihn kennen könnten.«
    Auf diese Weise lernte Mr Brown viel über den Glauben des Klans, und er gelangte zu dem Schluss, dass ein Frontalangriff nicht zum Erfolg führen konnte. Also baute er in Umuofia eine Schule und ein kleines Spital. Er ging von Familie zu Familie und bat darum, die Leute möchten ihre Kinder auf seine Schule schicken. Am Anfang schickten sie lediglich ihre Sklaven oder auch mal ein faules Kind. Mr Brown bettelte und drängte und prophezeite. Er sagte, die Führer des Landes der Zukunft würden Männer und Frauen sein, die Lesen und Schreiben gelernt hätten. Wenn Umuofia es versäumte, seine Kinder zur Schule zu schicken, würden Fremde von anderswo kommen und

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