Allmachtsdackel
aber als Mann angemeldet. Oder soll ich sagen, ausgegeben? Meiner Sprechstundenhilfe haben Sie extra dargelegt, Ihr Vorname sei eigentlich ein Männername aus der Hopi-Sprache.«
Ich lächelte gewinnend. »Sie glauben ja gar nicht, wie leicht man es mir immer wieder macht. Wir stellen im täglichen Miteinander stets zuerst die Hypothese auf, dass wir es mit einem Mann zu tun haben.«
»Aber Sie gehören nicht zu den durchgeknallten Feministinnen des Balinger Weiberstammtischs, nein?«
»Nein, ich reiche mir allein für durchgeknallte Aktionen. Die Wahrheit ist, Herr Dr. Zittel, ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«
Er legte die Metzgerhände auf dem Schreibtisch übereinander. Eine gewisse Neugierde unterblutete die Cremeschicht auf seinem rasierten Backenfleisch.
»Ich bin die Schwabenreporterin Lisa Nerz. Sie haben sicher schon was von mir gelesen.«
Zittel fand es unnötig, so auszusehen.
»Derzeit arbeite ich an einem Artikel über den Ingenieur und Waagenbauer Martinus Weber. 150 Jahre Weber-Waagen, der Patriarch alter Schule und so weiter. Und nun erfahre ich, dass Herr Weber gestern Abend plötzlich verschieden ist. Und Sie haben die Leichenschau vorgenommen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie haben den Totenschein unterschrieben.«
»Ach! Wer hat Ihnen denn die Todesbescheinigung gezeigt?«
»Informantenschutz! Sie wissen schon.«
»Dann haben Sie sicherlich auch schon von der ärztlichen Schweigepflicht gehört. Übrigens, wenn Sie tatsächlich über die Waagenindustrie schreiben, dann sollten Sie unbedingt mit meinem Vater reden. Er hat ein Buch dazu verfasst und es gestern Abend im Zollernschlössle vorgestellt.«
»Ach du liebe Scheiße!« Ich lachte haltlos. »Dr. Reinhold Zittel ist Ihr Vater! Der Gerichtsmediziner mit dem Waagenbuch, der direkt von der Leiche Webers zu seiner Buchpräsentation kam. Oje!«
Zittel feixte cremig.
»Tja, dann bleibt mir nur, mich errötend zurückzuziehen.« Ich stand auf. Er auch.
»Wie kommt es übrigens«, fragte ich noch schnell, um meine Ehre durch eine halbwegs vernünftige Frage zu retten, »dass Sie auch am Samstag offen haben?«
»Wir sind eine Klinik mit Dialyseeinheit und Notfallversorgung. Und die Labortiere müssen auch gefüttert werden.«
»Sie haben ein Forschungslabor?«
»Ja. Wir wollen doch die Nobelpreise nicht immer den Amerikanern überlassen, nicht?«
»Und was forschen Sie?«
»Unsere Forschung ist sehr speziell.«
»Aha, und was genau machen Sie?«
»Frau Nerz! Ich sagte doch gerade …«
»Ich kriege es sowieso raus.«
»Nun, von Ihren Recherchefähigkeiten haben Sie mir ja eben einen eindrucksvollen Beweis abgelegt. Aber gut. Es ist kein Geheimnis. Wir arbeiten zusammen mit Studenten aus Hohenheim an einer Methode, Spermien – bei Mäusen – in männliche und weibliche zu trennen. Dies wird allerdings in gewissen Kreisen nicht unbedingt mit Sympathie gesehen. In feministischen Kreisen zum Beispiel.«
»Wieso?«
Der junge Arzt lächelte nachsichtig. »Nun, in Indien herrscht jetzt schon Frauenmangel, weil die Mütter die weiblichen Feten abtreiben lassen. Für sie wäre es natürlich noch besser, sie könnten sich gleich mit rein männlichen Spermien befruchten lassen, nicht? Aber ich versichere Ihnen, wir denken ausschließlich an die Tierzucht.«
»Und offenbar gibt es noch jemanden, dem Ihre Forschung missfällt.« Ich deutete auf den Packen Post. Obenauf lag eine Karte. Quer über eine Wüstenlandschaft stand geschrieben: »Und Gott der HERR baute das Weib aus der Rippe, die er vom Menschen nahm. Moses 2,22.«
»Ach das!« Er nahm die Karte, zerriss sie und ließ die Schnipsel in den Papierkorb schneien. »Wenn wir immer auf religiöse Fanatiker Rücksicht nehmen würden, wäre die Welt heute noch eine Scheibe!«
Ich ließ den Schlips aus meinem Kragen zischen und passierte die kulturschwangere Zehntscheuer. Die Neue Straße endete an Reiterhaus und Zollernschloss, einem rustikalen Gebäudepaar mit Fachwerkaufsätzen. Ein Schild offenbarte, dass im Schloss das Museum für Waagen und Gewichte untergebracht war.
Offen hatte es allerdings nicht. Es hatte überhaupt nur an jedem zweiten Tag der Woche und nur an jedem ersten Samstag im Monat für zwei Stunden offen. Nicht so der Hit.
Ich bog ins Städtchen hinein ab und schlenderte die Friedrichstraße entlang. Die Marktstände täuschten mehr Leben vor, als die Läden dahinter für einen normalen Wochentag versprachen. Ich kursierte durch die Gassen und
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